George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
in einem landesweiten Zusammenbruch endete – ein nie da gewesenes Ereignis. Ähnlich war es mit dem Einsatz ausgeklügelter Risikomanagement-Methoden. Sie kontrollierten gewisse Risiken zwar effizient, aber sie übersahen die nicht quantifizierbare oder Knight’sche Unsicherheit. Deshalb waren die Finanzinstitutionen auf die Bewältigung des Zusammenbruchs schlecht vorbereitet. Überdies weitete die Verwendung synthetischer Instrumente die Reichweite der Blase über den Häusermarkt hinaus aus. Es waren mehr CDOs ausgegeben worden, als es Hypothekendarlehen gab. Als der Zusammenbruch kam, beschränkte er sich daher nicht auf den Markt für Subprime-Hypotheken, sondern verursachte Störungen im gesamten internationalen Bankensystem. Die Marktteilnehmer und die Regulierer – beide durch eine fehlerhafte Doktrin irregeleitet – waren überrascht.
Die offiziellen Stellen packten die Krise völlig falsch an. Finanzminister Hank Paulson beging einen fatalen Fehler, als er verkündete, er würde keine Steuergelder für die Rettung von Lehman Brothers verwenden. Als Lehman Brothers pleiteging, brach das gesamte System zusammen. Innerhalb von Tagen musste er eine 180-Grad-Wende vollführen und der American International Group (AIG) zu Hilfe kommen, einer Versicherungsgesellschaft, die sich massiv an der Versicherung von CDOs durch den Verkauf von Credit Default Swaps (CDS, Kreditausfallbürgschaften) auf diese CDOs beteiligt hatte. Der Markt für Geldmarktpapiere stockte. Noch in der gleichen Woche fiel ein Geldmarktfonds unter einen Dollar, wodurch ein rasanter Ansturm auf die Geldmarktfonds insgesamt ausgelöst wurde. Noch bevor die Woche vorbei war, musste Paulson den Kongress um einen Rettungsfonds in Höhe von 700 Milliarden Dollar bitten, der zum Troubled Asset Relief Program (TARP) wurde.
Um zu verhindern, dass das internationale Finanzsystem kollabiert, wurde es an die künstliche Lebenserhaltung angeschlossen. Die Finanzminister der entwickelten Welt kündigten an, sie würden nicht zulassen, dass noch eine weitere systemisch wichtige Finanzinstitution bankrottgeht. Im Endeffekt ersetzten die Behörden den zusammenbrechenden Handelskredit durch staatlichen Kredit. Und wieder verhinderte ihr Eingreifen, dass die Super-Blase platzte. Aber wie ich in den hier vorliegenden Aufsätzen erkläre, trug der Crash des Jahres 2008 den Keim der derzeitigen Finanzkrise in sich. Die staatlichen Stellen begannen ein heikles Manöver in zwei Phasen. So wie wenn man bei einem Auto, das ins Schleudern gerät, in die Richtung lenken muss, in die man rutscht, um zu verhindern, dass es umkippt – und erst dann die Richtung durch Gegenlenken korrigieren kann, wenn man das Auto wieder unter Kontrolle hat –, genauso konnten die Behörden den exzessiven Einsatz von Kredit und Fremdfinanzierungshebeln nur dadurch korrigieren, dass sie die Märkte mit staatlichen Krediten fluteten, und zwar sowohl in Form von Bürgschaften als auch durch Begebung von Staatsanleihen.
Das Manöver war erfolgreich. Die Behörden gewannen die Kontrolle zurück und die Finanzmärkte funktionierten wieder mehr oder weniger normal. Aber die Ungleichgewichte, die sich im Laufe der Super-Blase entwickelt hatten, wurden nicht korrigiert und die Finanzmärkte blieben von einem Gleichgewicht weit entfernt. Und schließlich geriet auch der Staatskredit, der das Finanzsystem 2008 gerettet hatte, unter Verdacht. Der Euro wurde wegen der Mängel, die in seiner Konstruktion angelegt sind, zum Epizentrum der derzeitigen Krise. Einige dieser Fehler waren den Konstrukteuren des Euros bekannt, andere wurden erst im Laufe der Krise offenbar.
Das Finanzsystem ist von falschen Dogmen, von Missverständnissen und Fehlauffassungen durchzogen. Die Realität ist weit entfernt von den Postulaten, auf denen die Theorien aufgebaut wurden, die während der Super-Blase vorherrschend waren. Ich ließ mich hingegen von einer anderen Interpretation der Finanzmärkte leiten. Sie beruht auf einem konzeptuellen Rahmen, mit dessen Entwicklung ich in meiner Studienzeit begonnen habe, lange bevor ich mich an den Finanzmärkten engagierte. Eigentlich dreht sich dieses Rahmenwerk gar nicht um die Finanzmärkte, sondern es bezieht sich auf eine der grundlegenden Fragestellungen der Philosophie, nämlich auf die Beziehung zwischen Denken und Wirklichkeit. Ich möchte das kurz skizzieren.
Ich behaupte, dass denkende und handelnde Subjekte auf zweifache Weise mit der Situation in Verbindung
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