Ghostwalker 04. Fluch der Wahrheit
Prolog
Das Herz hämmerte wild in Toriks Brust. Er musste sie finden, bevor es zu spät war! Tief atmete er die Waldluft ein und versuchte, eine Spur von ihr zu entdecken. Als halbem Menschen war es ihm früher schwergefallen, seine Berglöwensinne so zu beherrschen wie die reinrassigen Wandler, doch mit langer Übung war es ihm gelungen. Mehr noch, er hatte Fähigkeiten entwickelt, die andere Wandler nicht hatten. Als sich Erinnerungen an seinen Vater einschlichen, einen Miwok-Indianer, der sie im Stich gelassen hatte, als Torik zehn Jahre alt gewesen war, schüttelte er sie mit einem Knurren ab. Er hatte vor langer Zeit erkannt, dass Tenaya keinen weiteren Gedanken wert war. Außerdem durfte er sich jetzt nicht ablenken lassen, wenn er Arlyn nicht für immer verlieren wollte. Furcht breitete sich in ihm aus, seine Gefährtin vielleicht nie wiederzusehen, sie nie wieder berühren oder in ihre warmen goldbraunen Augen blicken zu können. Er würde nicht zulassen, dass sie ihm auch noch genommen wurde!
Noch schneller als zuvor hetzte Torik lautlos durch die Wildnis, in seiner Berglöwengestalt nur ein Schatten zwischen den Bäumen. Er war allein aufgewacht und hatte sofort gespürt, dass Arlyn fort war. Das Laken auf ihrer Seite des Bettes war kalt gewesen, und die Hütte hatte sich leer angefühlt, wie tot. Seit Jahren wusste Torik, dass Arlyn labil war, immer in Gefahr, von ihrer wilden Seite verschlungen zu werden und zu vergessen, dass sie auch ein Mensch war. Manche Wandler wurden so geboren, andere entwickelten sich erst mit der Zeit zu Einzelgängern, die dann das Lager der Gruppe verließen und einsam als Berglöwen in den Wäldern lebten. Arlyn war immer zart und zerbrechlich gewesen, und er hatte sie vom ersten Moment an geliebt. Zuerst wie ein Bruder, aber als sie dann älter geworden waren, hatte sie auch sein Verlangen geweckt. Ihre langen, fast weißblonden Haare, die helle Haut und hellbraunen Augen waren ein faszinierender Kontrast zu seinen schwarzen Haaren und Augen und der rötlich-braunen Haut, die er von seinem Vater geerbt hatte. Er liebte es, einfach nur neben ihr zu liegen, sie anzusehen und mit den Fingern Muster auf ihre Haut zu malen.
Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er sich vorstellte, dass Arlyn ihre menschliche Seite nie wieder zeigen könnte. Obwohl er sie auch als Berglöwin schön fand: Mit dem hellen, fast weißen Fell und dem zarten Knochenbau war sie mehr als ungewöhnlich. Aber noch mehr würde ihm ihr Lachen fehlen, das er in letzter Zeit immer weniger gehört hatte. Er hätte darauf vorbereitet sein müssen, dass sie ihn irgendwann vielleicht verlassen würde, aber er hatte gehofft, sie durch seine Liebe halten zu können. Und auch ihre Eltern zählten auf ihn. Die Vorstellung, wie sie auf den Verlust ihrer einzigen Tochter reagieren würden, verstärkte seinen Wunsch, Arlyn auf jeden Fall zu finden und nach Hause zu bringen. Es gab keinen anderen Weg, denn ohne sie wäre auch sein Leben zu Ende. Die Zähne fest gegen den Schmerz zusammengepresst, folgte er ihrer Duftspur, die ihn immer tiefer in die Wildnis führte.
Erleichterung machte sich in Torik breit, als ihr Geruch nach einiger Zeit stärker wurde. Sie musste in der Nähe sein, er konnte ihre Anwesenheit regelrecht spüren, auch wenn er sie nicht sah. Mit allen Sinnen konzentrierte er sich auf Arlyn und entdeckte sie schließlich in einem Dickicht. Langsam näherte er sich ihr und versuchte, nicht bedrohlich zu wirken. Schließlich verwandelte er sich und blieb einige Meter vor ihr sitzen.
Vorsichtig streckte er die Hand aus. »Hallo, Arlyn. Ich habe dich gesucht.« Die Berglöwin sah ihn nur an, näherte sich aber nicht und verwandelte sich auch nicht. Toriks Herz zog sich zusammen, als er das Misstrauen in ihren Augen erkannte. Also bemühte er sich, es zu zerstreuen. »Ich habe dich vermisst, als ich heute Morgen in unserem Bett aufgewacht bin. Die Nacht war sehr schön, findest du nicht?« Sie hatten sich so leidenschaftlich geliebt, dass er jetzt noch weiche Knie bekam, wenn er daran dachte. Im Nachhinein fragte er sich, ob Arlyns Berührungen nicht etwas Verzweifeltes gehabt hatten, ob er hätte spüren müssen, dass sie ihn verlassen würde.
Wieder sah Arlyn ihn nur an, diesmal glaubte er aber, in ihren Augen ein Echo seiner Gefühle wahrnehmen zu können. Oder er bildete es sich nur ein, weil er es sich mehr als alles andere wünschte. »Arlyn, kannst du zu mir kommen? Ich möchte dich gerne
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