Georgette Heyer
durch eine der hohen Fenstertüren zu betreten, die auf den
Rasenplatz führten. Als er auf einen ziemlich überraschten Lakaien stieß, warf
Seine Lordschaft, der tat, als wäre er hier zu Hause, Reitpeitsche und
Handschuhe auf einen Tisch, legte seinen breitrandigen Filzhut daneben und
verlangte den Herrn des Hauses zu sprechen.
Mr.
Milborne, keineswegs mit jener weltlichen Weisheit gesegnet, die seine Gemahlin
auszeichnete, hatte kaum den Zweck dieses Besuches erfaßt, als er etwas vage
und nicht sehr hoffnungsfreudig vorschlug, Seine Lordschaft täte besser daran,
mit Isabella persönlich zu sprechen. «Denn ich weiß es wahrhaftig nicht,
Anthony», hatte er gesagt, wobei er den Viscount bedenklich ansah. «Man kann
nie sagen, was in ihren Köpfen vorgeht, nein, ganz bestimmt nicht.»
Worauf
Seine Lordschaft, der richtig erriet, daß sich diese rätselhafte Äußerung auf
Mr. Milbornes Frau und Tochter bezog, fragte: «Und Sie selbst, Sir, haben
jedenfalls nichts dagegen, nicht wahr?»
«Nein»,
erwiderte Mr. Milborne. «Das heißt – ach nein –, ich glaube, ich habe nichts
dagegen einzuwenden. Sie sprechen aber am besten mit Isabella selbst.»
Also wurde
der Viscount vor das Antlitz der Schönen geführt, bevor diese auch nur Zeit
gehabt hätte, sich durch herabgelassene Vorhänge vor dem zu verräterischen
Tageslicht zu schützen. Hierauf hatte er sich, ohne die geringste Einleitung,
in den ersten Heiratsantrag seines Lebens gestürzt.
Miss
Milborne befand sich in der unangenehmen Lage, selbst nicht zu wissen, was sie
wollte. Der Viscount hatte im vergangenen Jahr zu ihren anerkannten Bewerbern
gezählt, und auch die Tatsache, daß sie ihn fast von der Wiege an kannte,
machte sie seinem Charme gegenüber nicht unempfänglich. Er war ein eleganter
junger Mann, von dem man sich genügend tolle Streiche erzählte, um die
weibliche Phantasie anzuregen, und wenn er auch keine so brillante Partie war
wie der Herzog von Severn, der ihr in letzter Zeit durch allerlei
schmeichelhafte Anzeichen zu verstehen gegeben hatte, daß er nahe daran sei,
sich ihr zu erklären, so war er zumindest von weit einnehmenderem Äußeren als
Seine Gnaden, denn dieser war bedauerlicherweise ein phlegmatischer junger
Mensch, der zur Fettleibigkeit neigte. Andererseits brachte ihr der Viscount
nicht die hingebende Liebe entgegen wie sein Freund Lord Wrotham, der seiner
Bereitwilligkeit verschiedene Male Ausdruck verliehen hatte, sich eine Kugel
durch den Kopf zu schießen, falls ihr ein derartiger Gewaltakt Vergnügen
bereiten sollte. In der Tat war Miss Milborne mehr als einmal der Verdacht
aufgestiegen, daß sich der Viscount der Schar ihrer Bewunderer nur aus dem
wenig schmeichelhaften Grunde angeschlossen habe, daß er nicht zu jenen
gehörte, die sich von einer Mode ausschlossen. Seine angebliche Verehrung war
nie so weit gegangen, ihn dazu zu veranlassen, seine ewige Jagd auf Ballettänzerinnen
und käufliche Mädchen aufzugeben oder jene Charakterfehler zu verbessern, über
die sich Miss Milborne mehr als einmal beklagt hatte. Sie war über ihn etwas
aufgebracht. Hätte er nur einige sichtbare Zeichen seiner Ergebenheit an den
Tag gelegt, wie etwa, seinen skandalösen Lebenswandel zu ändern, abzumagern
wie der arme Wrotham, bei einer Zurechtweisung zu erbleichen oder durch ein
Lächeln von ihr in Verzückung zu geraten, dann, dachte sie, wäre sie sehr
geneigt gewesen, seine Werbung anzunehmen. Aber anstatt sich auf die Art zu
betragen, die sie als ihr gutes Recht zu betrachten gelernt hatte, setzte der
Viscount – obwohl er ihr gewiß eine Menge Huldigungen darbrachte – seinen
beklagenswerten Lebenswandel fort und verschaffte sich nach wie vor seine
Vergnügungen durch die unterschiedlichsten Belustigungen, die er anscheinend im
Hinblick darauf wählte, seiner Familie ein Maximum an Angst und Sorgen zu
bereiten.
Unter dem
Schutz ihrer langen Wimpern warf ihm Isabella einen verstohlenen Blick zu.
Nein, er sah nicht so blendend aus wie der arme Wrotham, dessen dunkle
leidenschaftliche Schönheit ihre Träume nicht wenig beunruhigte. Denn Wrotham
war eine romantische Gestalt, besonders wenn seine schwarzen Locken in
Unordnung gerieten, was oft geschah, weil er in seiner Verzweiflung stets darin
wühlte. Auch die blonden Locken des Viscount schienen sich in Unordnung zu
befinden, dabei
konnte man aber durchaus nichts Romantisches finden, weil diese Unordnung das
Ergebnis raffiniertester Friseurkunst war und Miss Milborne
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