Georgette Heyer
eins wette ich, daß er dadurch erst den richtigen Begriff
seiner Stellung bekommt. Aber, meine Liebe, solltest du etwa an George Wrotham
denken, dann hoffe ich, daß du es dir noch sorgfältig überlegst, ehe du dich an
jemanden wegwirfst, der bloß Baron ist und dessen Güter nach allem, was ich
erfahren habe, schwer verschuldet sind. Außerdem fehlt es Wrotham an einer
gewissen Beständigkeit, und das mißfällt mir sehr.»
Angesichts
des auffallenden Mangels an Beständigkeit, der den Viscount Sheringham
charakterisierte, erschien diese Bemerkung Miss Milborne äußerst ungerecht,
was sie ihrer Mutter auch sagte, wobei sie hinzufügte, daß der arme Wrotham
nicht die Hälfte von Sherrys Torheiten begangen habe. Mrs. Milborne leugnete
dies nicht. Sie erklärte, es bestehe für Isabella kein Grund, eine überstürzte
Wahl zu treffen, und riet ihr, einen Gang durch den Park zu machen, um sich zu
beruhigen und ihre heißen Wangen zu kühlen.
Inzwischen
ritt der Viscount in größter Wut nach Sheringham Place zurück. Seine Eigenliebe
hatte eine unerträgliche Demütigung erfahren; und da er während der letzten
zwölf Monate der Meinung gewesen war, in die «unvergleichliche Isabella»
unaussprechlich verliebt zu sein, und er auch nicht zu den jungen Leuten
gehörte, die sich der Seelenforschung hingeben, währte es nicht lange, bis er
im schönsten Zuge war, sich einzureden, daß sein Leben hoffnungslos zerstört
sei. Er durchschritt das Tor seines Ahnenschlosses in allem eher als einer
ausgeglichenen Stimmung und war daher nicht im geringsten durch die Mitteilung
des Butlers besänftigt, daß Mylady sich im Blauen Salon befinde und ihn zu
sprechen wünsche. Er hatte gute Lust, dem alten Romsey zu sagen, er solle sich
zur Hölle scheren, da er aber vermutete, daß er seine Mutter vor seiner
Rückkehr nach London doch noch einmal besuchen müsse, nahm er von dieser
befreienden Äußerung Abstand und begnügte sich damit, dem Butler einen düsteren
Blick zuzuwerfen, bevor er in Richtung Blauer Salon davonschritt.
Hier fand
er nicht nur seine Mutter vor, eine stets mit ihrer Gesundheit beschäftigte
Dame von höchst erstaunlicher Widerstandskraft, sondern auch seinen Onkel
Horace Paulett.
Seit Mr.
Paulett, nach dem vor einigen Jahren erfolgten Tod Lord Sheringhams, seinen
Wohnsitz in Sheringham Place aufgeschlagen hatte, vermochte den Viscount in
dieser Beziehung nichts mehr zuüberraschen. Er hatte in der Tat erwartet,
seinen Onkel hier vorzufinden, was ihn aber nicht hinderte, in aufreizendem Ton
zu sagen: «Du lieber Himmel, Sie sind hier, Onkel?»
Mr.
Paulett, ein dicklicher Gentleman mit einem unüberwindlichen beständigen
Lächeln und sehr weichen weißen Händen, gestattete sich nie, über
die offenkundige Abneigung seines Neffen und seine häufigen Ungezogenheiten
ärgerlich zu werden. Er lächelte nur breiter denn je und erwiderte: «Ja, mein
Junge, ja! Wie du siehst, bin ich hier und auf meinem Platz neben deiner lieben
Mama.»
Lady
Sheringham, die sich mit einem Riechsalzfläschchen versorgt hatte, um ihre
Nerven während der Unterredung mit ihrem einzigen Kind zu stärken, entfernte
den Stöpsel, um ein wenig zu inhalieren. «Ich weiß wahrhaftig nicht, was aus
mir würde, wenn ich meinen guten Bruder nicht hätte, der mir in meiner
Verlassenheit beisteht», sagte sie in dem schwachen klagenden Ton, der ihre
eiserne Konstitution und ihre Entschlossenheit, ihren Willen durchzusetzen, so
bewunderungswürdig verbarg.
Ihr Sohn,
der ebenso starrköpfig war wie seine Mutter, aber weit aufrichtiger, erwiderte
mit erschütternder Offenherzigkeit: «Soviel ich weiß, Madam, wäre es Ihnen
ausgezeichnet gegangen. Überdies wäre ich vielleicht dann und wann zu Hause
geblieben. Ich will nicht behaupten, daß ich es unbedingt getan hätte, weil
ich dieses Haus hier ganz und gar nicht mag, aber es wäre doch möglich gewesen.»
Weit
entfernt, sich über dieses schöne Zugeständnis befriedigt zu zeigen, suchte
Lady Sheringham in ihrem Ridikül nach einem Taschentuch und führte diesen Hauch
aus Spitzen und Musselin an ihre Augenwinkel. «Oh, Horace», sagte sie. «Ich
wußte, wie alles werden würde. Er ähnelt seinem Vater so sehr!»
Der
Viscount verfiel keineswegs dem Irrtum, diese Bemerkung für eine Schmeichelei
zu halten. Er sagte: «Nun, zum Kuckuck, Madam, das ist doch kein Fehler! Wenn
ich darüber nachdenke, möchte ich wissen, wen ich sonst ähnlich sein sollte?»
«Wem, mein
Junge, wem!»
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