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Geräusch einer Schnecke beim Essen

Geräusch einer Schnecke beim Essen

Titel: Geräusch einer Schnecke beim Essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Tova Bailey
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und doch hatte ich das Gefühl, sie seien nicht gleich verteilt. Durch meine Krankheit hatte ich unendlich viel Zeit – sie war fast das einzige, was ich hatte. Meine Freunde hingegen hatten so wenig Zeit, dass ich mir oft wünschte, ihnen von der Zeit, die ich nicht nutzen konnte, etwas abgeben zu können. Es war verblüffend, dass ich durch meine Krankheit etwas so Begehrtes gewonnen hatte, jedoch so wenig damit anfangen konnte.
    Ich erwartete Besucher immer sehnlichst, doch die Vorfreude und der Kraftaufwand der Begrüßung mündeten jedes Mal in lähmende Erschöpfung. Wurden dann die ersten Geschichten zum besten gegeben, blieb mein Geist zwar nach besten Kräften dabei – ich brauchte diese Verbindung zur Außenwelt so dringend –, doch mein Körper wurde von Wellen der Schwäche übermannt. Gleichwohl waren meine Freunde wie Goldfäden, die unversehens im einförmigen Gewirk meiner Tage erschienen. Jeder Besuch war ein Fenster auf mein früheres Leben, das sich einen Moment lang öffnete, jedoch wieder zufiel, ehe ich durch es hindurch zurückgelangen konnte. Die Besuche waren wie Träume, aus denen ich jedes Mal wieder allein erwachte.
    Je vertrauter mir die Welt der Schnecke wurde, desto fremder wurde mir die Menschenwelt; meine eigene Spezies war so groß, so gehetzt, so verwirrend. Ich stellte fest, dass mich der Energielevel meiner Besucher beschäftigte, und begann sie genauso aufmerksam zu beobachten, wie ich die Schnecke beobachtete. Mich erstaunte, wie ziellos sich meine Besucher im Zimmer bewegten: Es schien, als wüssten sie nicht, wohin mit ihrer Energie. Sie gingen so achtlos damit um. Spontane Armbewegungen, ein zurückgeworfener Kopf, eine plötzliche Körperstreckung, als wäre das gar nichts. Oder sie fuhren sich unnötigerweise mit den Fingern durchs Haar.
    Es dauerte immer, bis die Besucher zur Ruhe kamen. Sie setzten sich und zappelten erst einmal eine Weile herum, dann entspannten sie sich allmählich, und schließlich wurde ihr Körper ganz still. Sie begannen über interessantere Dinge zu reden. Irgendwann während ihres Besuchs fiel ihnen dann auf, wie wenig ich mich bewegte, wie reglos mein Körper war, und eine eigenartige Schweigsamkeit erfasste sie. Sie befürchteten, mich zu überanstrengen, doch ich merkte, dass ich sie außerdem an all das erinnerte, wovor sie sich fürchteten: an Zufall, Ungewissheit, Verlust, den schmalen Grat der Sterblichkeit. Wir Kranken sind die Hüter der geheimen Ängste all jener, die bei guter Gesundheit sind.
    Schließlich erfasste Unbehagen meine Besucher, ließ hier eine Hand zucken, dort einen Fuß wippen. Je eklatanter meine eigene Reglosigkeit, desto größer ihr Bedürfnis, sich zu bewegen. Ihre Energie wurde zu Ruhelosigkeit, versetzte ihre Körper in Bewegung, ein Schwingen der Arme, ein paar Schritte durchs Zimmer: Der Körper ist nicht dazu geschaffen, stillzuhalten. Wenig später brachen meine Besucher dann auf.
    Meine Hündin Brandy war eine Mischung aus Golden Retriever und gelbem Labrador. Obwohl sie schon acht war, hatte sie im Vergleich zu mir unglaublich viel Energie. Es war unvorstellbar, dass auch ich einmal mit solchem Ungestüm durchs Leben gegangen war, Brandy an meiner Seite. Jetzt konnte ich ihr gerade mal von meinem Bett aus ein paar Reste von meinem Abendessen hinhalten oder ihr kurz über die weichen Ohren streicheln. Ich liebte sie sehr, und wenn ich sah, wie es sie nach draußen zog, wäre ich am liebsten auf der Stelle aus dem Bett gesprungen, hätte die Tür zur Außenwelt aufgerissen und wäre geflohen, wäre wie früher mit ihr losgezogen, tief in den urwüchsigen Wald hinein.
     
    Während mich die Energie meiner menschlichen Besucher erschöpfte, regte die Schnecke mich an. Mit ihrer Neugier und Anmut zog sie mich immer tiefer in ihre friedliche, einsame Welt hinein. Zu beobachten, wie sie in dem kleinen Ökosystem des Terrariums ihrer Wege ging, war entspannend. Ich begann über einen Namen für die Schnecke nachzudenken, schließlich war sie ein Individuum mit ganz eigenem Charakter. Aus dem Buch Odd Pets hatte ich gelernt, dass Schnecken Zwitter sind, was die Optionen etwas einschränkte. Aber ein Menschenname schien irgendwie nicht zu passen. Die Schnecke war nicht nur ein Einzelwesen, das ich nach und nach kennenlernte. Sie machte mich in einem weiteren Sinne mit ihrer ganzen langen gastropodischen Ahnenreihe bekannt, die zweifellos sehr weit in die Vergangenheit zurückreichte. Ins Terrarium zu schauen war,

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