Geräusch einer Schnecke beim Essen
fragte ich mich, was für Überraschungen mich wohl in The Mollusca erwarteten. Die staubigen grauen Bände, die in ungeordneter Reihenfolge eintrafen, waren so schwer, dass ich sie gegen andere Bücher lehnte und auf der Seite liegend las. Ich ging sie langsam durch, las jeden Tag ein bisschen weiter und stellte fest, dass jegliches wissenschaftliche Gebiet, von der Biologie und Physiologie bis zur Ökologie und Paläontologie, voller Erkenntnisse über die Gastropoden steckte. Die Fülle an Informationen war verblüffend, angefangen mit der komplizierten Zahnanordnung bis hin zur Biochemie ihrer Schleimproduktion und den intimen Details ihres arteigenen Liebeslebens. Doch selbst in den vielen Bänden von The Mollusca fehlte eine bestimmte Sicht des Schneckenlebens. Dann entdeckte ich die Naturforscher des neunzehnten Jahrhunderts, unerschrockene Gesellen, die nichts dabei fanden, unzählige Stunden draußen im Freien mit der Beobachtung ihrer kleinen Forschungsobjekte zu verbringen. Und ich stieß auf verschiedene Dichter und Schriftsteller, die sich irgendwann in ihrem Leben von dem Leben einer Schnecke hatten faszinieren lassen.
Im vierten Jahrhundert vor Christus hielt Aristoteles in seiner Historia animalium fest, die Zähne der Schnecken seien «scharf, klein und fein». Meine Schnecke hatte rund zweitausendsechshundertvierzig Zähne, weshalb ich Aristoteles’ Beschreibung um das Wort «zahlreich» ergänzen würde. Die Zähne sind nach innen gerichtet, damit die Schnecke beim Fressen fest zupacken kann. Mit durchschnittlich dreiunddreißig Zähnen pro Reihe und rund achtzig Zahnreihen bilden sie ein vielzahniges Band, die sogenannte Radula oder Raspelzunge, die ein bisschen wie eine Feile funktioniert. Das erklärte das Kopfnicken meiner Schnecke, während sie sich durch den Champignon futterte; ebenso erklärte es die seltsame quadratische Form der Löcher, die ich gefunden hatte. Während sich die vordere Zahnreihe abnutzt, wächst von hinten eine neue nach, so dass sich die Radula langsam nach vorne bewegt und sich im Laufe von vier bis sechs Wochen komplett erneuert. Die Radula ist den Ernährungsgewohnheiten der jeweiligen Schneckenart angepasst und kann ein Erkennungsmerkmal einer Spezies sein.
Als Besitzerin von gerade mal zweiunddreißig bleibenden Zähnen, die mir mein restliches Leben lang dienen mussten, empfand ich Neid auf die dentale Ausstattung meiner gastropodischen Gefährtin. Es schien weitaus sinnvoller, einer Spezies anzugehören, die einen natürlichen Zahnersatz entwickelt, als einer, die das Zahnarztwesen erfunden hatte. Nichtsdestoweniger gehörten Zahnarztbesuche zu meinen bevorzugten Abenteuern, denn da befand ich mich unweigerlich in liegender Position. Ich sah vor mir, wie ich mich in den Zahnarztstuhl zurücklehnte, den Mund öffnete und den Zahnarzt mit einer Radula von menschlichen Dimensionen überraschte.
Manche Schneckenarten sind räuberisch, einige sind sogar kannibalisch und bohren Löcher in die Gehäuse anderer Schnecken oder greifen sie direkt durch die Öffnung an. Diese Schnecken haben weniger, aber dafür schärfere Zähne, die sie, was irgendwie unheimlich ist, zur Seite klappen können, um im Mundraum mehr Platz für ihre Opfer zu schaffen.
Diese Eigenschaft fand ich richtig gruselig. Obwohl meine Schnecke nicht kannibalisch war, hätte ich weder ihr noch einer anderen Schnecke in Menschengröße begegnen wollen – was mich an Patricia Highsmiths Erzählung Auf der Suche nach X. Claveringi erinnerte. Avery Clavering, ein Zoologieprofessor, hört von den legendären menschenfressenden Schnecken Kuwas und macht sich in der Hoffnung, ihre Existenz zu beweisen, die Spezies nach sich zu benennen und berühmt zu werden, auf die Suche nach ihnen. Auf Kuwa angekommen, findet er abgefressene Baumwipfel vor und entdeckt wenig später eine über sechs Meter lange Schnecke, die ihn zu verfolgen beginnt. Er stellt sich vor, wie es wohl wäre, von zwei Schnecken verfolgt zu werden, und kommt zu dem Schluss, dass es nicht schwierig sein konnte, zwei «derart langsamen Wesen zu entkommen, zwei gemächlich kriechenden Exemplaren der… ja, der was?… Carnivora (wer weiß!) Claveringi ». Doch als tatsächlich eine zweite Schnecke auftaucht, kommt es zu der eigenartigsten und langsamsten Verfolgungsjagd, die je in der Literatur geschildert wurde. Von den Schnecken gleichmütig, aber gnadenlos gejagt, gehen Clavering irgendwann die Kräfte aus, und er sucht Schutz in einer
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