Geraubte Herzen
zur Treppe. Um sich schlagend und nach Cunningham tretend schrie sie der selbstgefälligen, schockierten kleinen Versammlung zu: »Sie waren immer nett zu uns. Und jetzt helfen Sie uns nicht? Wer tut hier Unrecht? Wer tut Unrecht?«
1
Boston, Massachusetts
An einem kalten Februartag
Sieben Jahre später
Meredith Spencer sagte sich, dass eine Frau von siebenundfünfzig Jahren es nicht nötig haben sollte, Nylonstrumpfhosen zu tragen, drei Enkelkinder zu unterstützen oder als Aushilfs-Sekretärin ins Arbeitsleben zurückzukehren. Aber hier stand sie, hinten an der Wand im Penthouse-Büro von Zachariah Givens, Präsident und Geschäftsführer der Givens Enterprises, und hörte zu, wie Gerald Sabrinski tobte und wütete.
»Sie sind ein herzloser Schweinehund, aber eines Tages darf ich hoffentlich zusehen, wie Sie bekommen, was Sie verdienen.« Glatzköpfig und mit rotem Gesicht beugte sich Mr. Sabrinski über Mr. Givens’ Schreibtisch und starrte ihn mit dem ganzen Zorn eines mächtigen Gegners an.
Eines mächtigen, geschlagenen Gegners.
Mr. Givens sprach mit aristokratischem Bostoner Einschlag, aber ohne jegliche Gemütsregung. »Die Rezession hat Sabrinski Electronics geschwächt, und der Kredit, den Sie Ihrem Sohn gegeben haben, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
Mr. Sabrinskis Gesicht wurde noch röter. »Mein Sohn brauchte das Geld.«
»Zweifelsohne.« Mr. Givens kräuselte überaus verächtlich die Lippen.
Constance Farrell, Merediths alte Freundin, die neben ihr stand, klärte sie mit leiser Stimme auf: »Mr. Givens kennt Mr. Sabrinskis Sohn, und zwar schon seit Jahren. Ronnie hatte schon immer die Angewohnheit, seinen Vater um Geld anzugehen.«
»Ich verstehe.« Meredith drückte sich Notizbuch und Stift an die Brust, den Blick auf die eskalierende Szene gerichtet.
»Mr. Givens wird langsam ungeduldig. Wir werden Mr. Sabrinski in ein paar Minuten hinauskomplimentieren müssen«, instruierte Constance Meredith gedämpft.
Meredith betrachtete Mr. Givens, der in seinem schwarzledernen Chefsessel saß, und fragte sich, woran Constance ihm seine Ungeduld ansah, Meredith selbst konnte sich kaum vorstellen, dass der Mann überhaupt Gefühlsregungen besaß.
»Mr. Urbano wird uns behilflich sein«, murmelte Constance. »Er war früher Hockeyspieler. Mit ihm legt sich keiner an.«
Meredith streifte Jason Urbano, den Rechtsberater der Givens Enterprises, mit einem raschen Blick. Er war stämmig, attraktiv und vermutlich in den Dreißigern, genau wie Mr. Givens. Unter normalen Umständen hätte sich jede Frau nach dem ehemaligen Hockeyspieler umgedreht, aber neben Mr. Givens war er nahezu unsichtbar.
Mr. Givens zog unwiderstehlich alle Blicke auf sich. Er war fraglos der bestaussehende Mann, dem Meredith je begegnet war. Sein schwarzes Haar war glatt und dicht. Die Augen waren so dunkel, dass sie ebenfalls schwarz wirkten. Die gebräunte Haut spannte sich über eine Knochenstruktur mit dezidierten Konturen: eigensinniges Kinn,
aristokratische Nase, hohe Wangenknochen, breite Stirn. Und sein Körper... nur weil Meredith siebenundfünfzig Jahre alt war und Witwe, war sie noch lang nicht abgestumpft oder blind. Dieser Mann verfügte über eine Statur und Körpergröße, die jede Frau in Bann schlagen mussten, sobald er den Raum betrat.
Sein atemberaubend gutes Aussehen hinterließ einen umwerfenden ersten Eindruck. Aber Meredith hatte ihm in die Augen gesehen … und da war nichts. Soweit sie das beurteilen konnte, war er weder an ihr noch an irgendjemand sonst interessiert. Er bewegte sich, wie ein Hai sich durchs Wasser bewegt: elegant, fließend und mit einer Bedrohlichkeit, die abstoßend und förmlich greifbar war. Er war kalt, leidenschaftslos und distanziert.
Den ganzen Vormittag über und bis in den Nachmittag hinein beobachtete Meredith den Arbeitsablauf im Büro, machte sich Notizen und bereitete sich darauf vor, Constances Urlaubsvertretung zu übernehmen, währenddessen hatte Givens in Blitzgeschwindigkeit Mr. Sabrinskis Firma übernommen und hörte sich jetzt Sabrinskis Schmähreden an. Meredith hatte Givens zu keinem Zeitpunkt lächeln, die Stirn runzeln oder sonst ein Gefühl zeigen sehen.
Die dunklen Augen auf Mr. Sabrinski gerichtet, sagte Givens: »Es hätte vielleicht geholfen, wenn Sie einen Teil des Geldes von Ihrem Sohn zurückbekommen hätten, aber die Zahlung hat die Firma geschwächt und sie reif für die Übernahme gemacht.«
Die Farbe wich aus
Weitere Kostenlose Bücher