Höchstgebot
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Auf einen Schlag war es in der alten Kölner Kirche ganz still geworden. Schon das vierte Los hatte ein kleines hektisches Bietergefecht ausgelöst und das Publikum Witterung aufnehmen lassen. An diesem Abend würde sicher noch einiges gehen.
Auch Robert Patati wurde von der nervösen Spannung erfasst. Welche Verlockung! Er müsste nur spontan den Arm heben und alles wäre gut. Zumal dort vorne ein Werk von Max Ernst zur Versteigerung stand, einem seiner großen Malerhelden. Am leicht ironischen Lächeln des Auktionators war doch abzulesen, was dies hier vor allem war: ein leichtes und lustvolles Spiel.
Ein Spiel, dem sich sehr leidenschaftliche Menschen nur auf eine Weise erfolgreich zu verweigern vermochten: Sie ließen sich erst gar keine Bieterkarte ausfertigen. Auch Robert hatte sich daran gehalten. Aus Selbstschutz, aber auch um der Peinlichkeit zu entgehen, bei der Frage nach einer Bankgarantie traurig abwinken zu müssen.
Inzwischen bemühten sich nur noch drei Bieter um das angebotene Werk. Der eine saß in der ersten Reihe, ein weiterer stand weiter hinten und der dritte steigerte über das Telefon mit.
»Siebzigtausend? Seventy thousand – sitzt. Fünfundsiebzig – steht, quatre-vingt mille am Telefon, achtzig gegen Sie. Neunzig? Ninety thousand – sitzt. Einhunderttausend – steht. Einhunderttausend? Zum Zweiten? One hundred thousand? Last chance? Zum Zweiten. One hundred and ten. Thank you, Sir. Einhundertzwanzig? Nein? Einhundertzehntausend sitzend zum Zweiten. It’s yours for one hundred and ten thousand euros.«
Der durch die Muttersprachen seiner Kundschaft wandernde Auktionator ließ den kleinen weißen Holzhammer auf das Pult fallen und zeigte auf einen älteren Herrn in karierter Hose und Cowboystiefeln aus Schlangenleder. Der Zuschlag für das postkartenkleine Gemälde war erteilt, der Schätzpreis um das Zweifache überboten.
Zwei kleinere Lithografien von Picasso fanden jetzt für portokassenhafte vier- bis fünftausend Euro schnell und unkompliziert ihre Liebhaber und spendierten dem Publikum eine kurze Erholungsphase.
Dann wurden die ersten Hauptstücke der Auktion aufgerufen, Konstruktives von Kandinsky und eine frühe Landschaft von Jawlensky.
Der Aufbau einer Versteigerung war eine Kunst für sich. Und dieser Auktionator beherrschte die Dramaturgie der richtigen Losfolge ganz vorzüglich. Erst sprang der Kandinsky leichtfüßig über die 400.000-Euro-Grenze, dann wurde der Jawlensky von vier Kunden, die ihre Gebote per Telefon abgaben, auf 850.000 Euro hochgetrieben. Beide Male waren die Schätzwerte erneut deutlich überschritten worden.
Und wieder sorgten einige kleinere Arbeiten größerer Künstler für ein wenig Entspannung. Es galt, ein letztes Mal tief Luft zu holen, ehe der steile Aufstieg zum Gipfel beginnen würde, auf dem jenes Werk thronte, das auch Robert in diese Kirche geführt hatte.
Scheherazade , ein hundert mal achtzig Zentimeter großes Ölgemälde von René Magritte war das Highlight der Auktion. Robert hatte das Werk erst eine Woche zuvor dank eines Expertiseauftrags ausführlich begutachten können. Magritte hatte seine Prinzessin aus 1001 Nacht, die dem Tod nur dank ihrer großen Erzählkunst entkam, auf das reduziert, was sie unbedingt zum Erzählen benötigte: Mund und Augen. Das übrige Gesicht war zwar dank eines darüberliegenden Perlenschmucks zu erahnen, schien aber eigentlich nicht zu existieren. Denn dort, wo Wangen und Kinn hätten sein sollen, sah man die unverstellten Dinge im Hintergrund – einen Vorhang und eine Landschaft mit einem düsteren Höhleneingang. Ein faszinierendes Widerspiel von Sicht- und Unsichtbarem.
Wie von vielen anderen Werken Magrittes gab es auch von der Scheherazade mehrere Versionen. Von dieser hier, der jüngsten und vielleicht schönsten, hatte beinahe niemand etwas gewusst – bis das Kölner Auktionshaus Von Dornberg in großformatigen Anzeigen für zwei Vorbesichtigungen in Köln und Brüssel warb und eine Abendauktion in einer ausgesegneten Kirche ankündigte. Schnelle Verdächtigungen, es könne sich um eine Fälschung handeln, scheiterten ebenso schnell an der einwandfrei dokumentierten Herkunft, denn das Werk war direkt vom Künstler an die angesehene Aachener Industriellenfamilie Roeder verkauft worden.
Jetzt war es so weit. Ein Foto der Scheherazade wurde auf die große Leinwand über dem Auktionator projiziert. Zwei weiß behandschuhte Herren trugen das Bild behutsam in den Altarraum und stellten
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