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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Denn sterben will er nicht. Er küsste die Worte, faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Brusttasche seines weißen Hemdes.
    In den vorderen Teil des Flugzeugs kam Bewegung. Nicole Sorek stand auf und rüttelte ihre schlafenden Kollegen wach.
    »Wir machen ein paar Schüsse«, sagte sie. »Es fängt schon an zu dämmern.«
    Als die Bilder in Deutschland zu sehen waren, stieg Josef Rossi aus seinem gestohlenen Auto, in dem er auf einem winzigen Bildschirm die Ereignisse verfolgte, und machte sich auf den Weg in den Keller, um Natalia zu holen. Der Strick, den er für sie brauchte, lag griffbereit auf dem Beifahrersitz.

24   18. August, 04.33 Uhr
    A ls er die Stahltür aufschob, sprang die Katze aus Natalias Armen, huschte an Rossis Beinen vorbei hinaus in den Flur und entkam in die Dunkelheit. Natalia hatte ihr gerade von Lissi erzählt und auch ohne dass ein Wort über ihre Lippen kam, war sie sicher, die Katze hatte sie verstanden, denn sie drückte ihre Schnauze fest gegen Natalias Hals. Wenn Netty über der Erde schwebte, war Lissi immer bei ihr und sie war die einzige, die Netty sehen konnte.
    Rossi, der eine braune Hose und ein schwarzes Hemd trug, dieselben Sachen wie bei seinem Besuch in ihrem Studio, löste die Handschellen an ihren Fußgelenken, streifte ihr dünne weiße Stoffschuhe über und packte ihre Hand.
    »Im Namen der gelähmten Regierung«, sagte er und führte sie durch den kalten Kellergang, »zum Wohl der Stadt und des Landes, im Auftrag von allen, die das Gekrieche und die Sanftmut satt haben, wider die Lügen von früher und aus Stolz auf unser Volk haben wir Sie entführt, damit der gesunde Menschenverstand zurückkehrt in unser Land, verstehen Sie das, Ordnung, Zucht und Gemeinwohl, auf diesen Säulen ruht unsere Zukunft. Wir sind stolz auf Sie und alle sollen Sie sehen.«
    Die dünnen weißen Schuhe scheuerten über den Steinboden, es machte ihr Mühe, die Beine zu heben, sie hätte lieber Stille um sich gehabt.
    An diesen Mann würde sie kein Wort mehr verlieren. Sie würde ihm auch nicht die Geschichte von Lissi erzählen, die aus dem Fenster gesprungen war, weil sie beweisen wollte, dass sie fliegen konnte. Die achtjährige Netty sagte: ›Du spinnst‹, aber Lissi sagte: ›Du bist bloß feige‹, und stieg aufs Fensterbrett, lächelte ihr zu und sprang. Und vier Stockwerke tiefer auf dem Asphalt lächelte sie immer noch. Nach der Beerdigung schwebte Netty zum ersten Mal über die Erde, und da rief auf einmal jemand ihren Namen, es war Lissi, die mit einem Fallschirm aus Wolken über die Dächer flog. Sie sah aus wie immer und Netty winkte ihr zu, und sie winkten einander, unerreichbar nah.
    »Ich stelle mich«, sagte Rossi.
    Sie fuhren durch die Morgenstadt, die Straßenlampen brannten und der Himmel schimmerte in fahlem Blau. Um den Hals hatte Natalia einen Strick, dessen Schlinge fest zugezogen war und dessen Ende Rossi an der Lenksäule verknotet hatte. Wenn er wollte, konnte er ihren Kopf wie den eines Tieres zu sich herziehen. Aber seine Hände lagen ruhig auf dem Lenkrad. Ab und zu ließ er es los und schnäuzte sich hastig.
    »Ich stelle mich«, sagte er noch einmal. »Niemand darf weglaufen, Feiglinge gibts schon genug, ich stehe ein für das, was ich getan habe. Wir sind die Stimme, die Wut und die Macht unseres Volkes. Sie haben das am eigenen Leib erfahren und andere werden nach Ihnen kommen. Sie sind eine kraftvolle, selbstständige Frau, Frau Horn, Sie wissen, was sich gehört, mir imponiert, wie Sie Ihren Weg gegangen sind, gehen Sie ihn weiter, Sie brauchen dazu keine Menschen, die nicht zu Ihnen passen, die nicht zu uns passen. Wir sind bald da.«
    Er beugte sich vor, bremste an einer Kreuzung ab, ließ einen Müllwagen vorbeifahren und bog in eine breite Straße ein.
    »Sie und ich, wir wissen, was handeln heißt«, sagte Rossi und bewegte eigenartig die Lippen. Vielleicht, dachte Natalia, will er lächeln. Aber die Gebieterin über das Lächeln der Welt hat ihrer armen Dienerin, die Rossi zugeteilt ist, für alle Zeit verboten sich zu zeigen; sie durfte nur die Lippen und ein paar schlaffe Muskeln hin und her schieben. Lissi hätte bestimmt gewusst, warum diese Dienerin so hart bestraft worden war, dass sie bei diesem Mann bleiben musste, lebenslänglich. Vor sich, einen halben Kilometer entfernt, sah Natalia das Siegestor, verschwommen im Morgendunst, dann, je näher Rossi auf der breiten Ludwigstraße heranfuhr, in den Nordhimmel ragend wie der Eingang

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