German Angst
schaltete den Motor aus. Es regnete in Strömen. Aus der Erde stieg wie ein kühles, unheimliches Gas Dunkelheit auf, breiige feuchte Dunkelheit, die keine Ähnlichkeit mit der Nacht hatte. Und als es finster war um halb ein Uhr mittags, schauten die fünf Männer aus den Fenstern und bewegten sich nicht mehr. Hundertachtundzwanzig Sekunden lang. Danach, als würde sie von den Wolken gierig angesogen, verschwand die schwere Dunkelheit so plötzlich, wie sie entstanden war. Und die Männer lehnten sich zurück und stöhnten laut und zischten durch die geschlossenen Lippen. Der Fahrer erholte sich als Erster von dem Ereignis. Er klopfte mit beiden Zeigefingern an seine Nase, schnaubte und fuhr los.
Die Frau im Kofferraum fror. Sie musste an das Schauspiel am Himmel denken, denn sie hatte sich ein halbes Jahr lang darauf gefreut. So hoffte sie, dass wenigstens ihr Freund einen guten Platz zum Schauen hatte und dessen Tochter ebenso. Sie dachte an die beiden wie an Verwandte auf einem anderen Stern. Und sie dachte, ich seh euch nie wieder, ich seh euch beide nie wieder und sie werden euch vielleicht verjagen und ich kann euch nicht retten. Dann weinte sie. Aber die Tränen kamen nicht heraus aus ihren Augen, die fest zugeklebt waren. Und so weinte sie nach innen und es regnete in ihr wie draussen, wo die Vögel das zurückkehrende Licht besangen und sich wieder zu fliegen trauten.
Als der Schatten des Mondes die Stadt endgültig verließ und für Augenblicke die Sonne zwischen den Regenwolken unversehrt am Himmel zu sehen war, saßen vier der Männer aus dem roten Auto in ihren Wohnungen, jeder in seiner eigenen, und der fünfte, der Älteste, wartete in einem Hotelzimmer am Hauptbahnhof. Den Nissan hatte er in der Tiefgarage geparkt und der Frau im Kofferraum hatte er zugeflüstert, wenn dein Stecher brav ist, kommst du hier raus. Sie konnte seine Lippen an ihrem Ohr spüren, und seine Stimme kroch in ihren Kopf wie eine zischelnde Schlange.
Im sechsten Stock stand der Mann am Fenster, hielt die grüne Säge in der Hand und wartete auf den Anruf des Mannschaftsführers. Er glaubte nicht daran, dass der Stecher der Frau brav sein würde. Ich glaub nicht, dass solche wie der begreifen, was brav sein bedeutet, das haben die nicht in den Genen, dachte er, und dann klingelte das Telefon. Er war bereit, zu allem bereit. Denn er war, wie schon sein Vater von sich gesagt hatte, ein Volksschullehrer, einer, der die Kinder unseres Volkes lehrte, wie man sich wusch, wenn man schmutzig geworden war. Und dazu brauchte er heute nicht einmal eine Anstellung beim Staat. Dazu genügte es, aufzustehen und vorzutreten. Und manche Kinder, sagte er sich, und das Telefon klingelte weiter und er legte die Säge daneben, manche wollen einfach nicht kapieren, die müssen dann bestraft werden, hart bestraft, sehr hart und gnadenlos, so lange, bis sie parieren.
»Ja!«, sagte er mit entschlossener Stimme in den Hörer und sah im Spiegel an der Wand seinen nackten, unbehaarten achtundvierzig Jahre alten grauen Körper und sein bleiches unerhebliches Gesicht, das übersät war von roten Flecken. Hasserfüllt drehte er sich um und nahm neue Befehle entgegen.
Töten wollte er jetzt, töten sägen töten und den Menschenbaum von seinen Geschwüren erlösen.
2 6. Juli
E twas an ihm beunruhigte sie, und je länger er blieb und redete, desto nervöser wurde sie. Sie kannte ihn nicht, sie sah ihn heute zum ersten Mal. Eine Kundin, die sie seit acht Jahren behandelte, hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben. Das war nichts Ungewöhnliches, es freute sie, wenn die Frauen zufrieden nach Hause gingen und ihren Freundinnen begeistert davon erzählten, wie jung und entspannt sich ihre Haut jetzt wieder anfühlte. Manchmal rief eine von ihnen noch am selben Tag bei ihr an, um einen Termin zu vereinbaren. Ohne die Werbung ihrer Stammkundinnen hätte sie ihr Studio wahrscheinlich schon längst schließen oder zumindest Ines, ihre Angestellte, entlassen müssen, die Teilzeit bei ihr arbeitete und eine Spezialistin für Fußreflexzonenmassage war. Allerdings gab es einige Frauen, die sich von Ines nicht anfassen ließen, weil sie behindert war. Nach einem Motorradunfall hatten die Ärzte ihr Augenlicht nicht mehr retten können, ihr Gesicht musste mehrmals operiert werden und sah nach einer Hauttransplantation wie eine verzerrte Maske aus. Zudem blieb ihr linkes Bein verkrüppelt. Doch ihre Hände verheilten vollständig. Und Natalia Horn, ihre Chefin,
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