Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
gefüttert,
    mit Erdnüssen. Er bettelnd hinterm Gitter,
    und ich bohrte ihm den Zeigefinger
    in die fordernde Vorderpfote, die sich samt Schwimmhaut
    reflexhaft um die Fingerkuppe schloß. Ah!
    Nie war mir der Otter lieber. Ja?
    »Warum hast du nichts getan für den Otter?«
    Aber ich tat doch etwas für ihn. Im Zoo von
    Belem, den Riesenotter, frag ihn!
    Ich warf ihm Cashew-Nüsse ins Wasser,
    denen er keckernd vor Gier hinterherschoß,
    um sie dann rücklings gleitend zu greifen
    und sie sich schwimmend munden zu lassen.
    Nie fühlte ich mich diesen Wesen so nah
    wie beim Anblick des futternden Schwimmers. Ja?
    »Das nennst du was tun für den Otter? Die peanuts?«
    Ich tat, was ich konnte. Ich reiste dem Otter
    nach bis ins Ottern-Zentrum Hankensbüttel,
    wo die drei Otter mich mit dem Wärter
    verwechselten und im Carree der Umzäunung
    sprangen im Glauben, ich hätte Fisch im Beutel.
    Dabei war Fütterung doch erst um halb eins,
    und noch war es zwölf, so daß mir viel Zeit blieb,
    mich der muntern Geselln zu erfreun. Haha!
    Bei Gott ein Bild für die Götter. Ja?
    »All deine Otter
    umgeben Gitter!
    Dein Bruder im Gatter
    ein Bild für die Götter?«
    Ach, Gott, da du selber der Schöpfer bist,
    weißt du besser als ich, was gelaufen ist.
    Der Bruder, den du dem Tier zugedacht,
    hat es bestenfalls bis zum Vetter gebracht.
    Statt zum Hüter von dem, was da kreucht und fleucht,
    hat's beim Vetter, wenn's hoch kommt, zum Wärter gereicht.
    Wer verschuldet, daß solch ein Bastard entsteht,
    trage Sorge, daß er auch wieder vergeht.
    Sei du, Herr, der Retter,
    lösch ihn aus, diesen Vetter,
    diesen Selbstvergotter
    und Allesandreausrotter:
    Er oder der Otter!
    »Du, Mensch, oder der Otter?«
    Darauf, Herr, wird es wohl hinauslaufen.
    Kurze Rede zum vermeintlichen
Ende einer Fliege
    Tut mir leid, meine Liebe, du wirst jetzt gleich hin sein.
    Wir sind hier schließlich nicht bei Buddhistens.
    Bei Buddhistens, das ist ein Kontinent weiter.
    In Tibet, da läßt man sich so etwas bieten,
    die würden dich, Fliege, die ganze Nacht
    rumsummen lassen nach Herzenslust.
    Bei Buddhistens ist das normal, die summen
    ja selber rund um die Uhr ihre Oms,
    ihre O mani padme hums, diese Priester.
    Und wo andauernd irgendwo rumgesummt wird,
    da fällt ein Gesumme mehr oder weniger
    gar nicht groß auf. Doch wir sind hier bei Christens.
    Da wird nicht gesummt. Da wird nachts geschlafen.
    Daran hat sich auch eine Fliege zu halten.
    Glaub bloß nicht, ich hätte was gegen euch Fliegen.
    Normal tu ich keiner etwas zuleide.
    Doch ich will jetzt schlafen, und du willst jetzt summen.
    Ich hab die Patsche, und du bist der Brummer,
    du oder ich, tut mir leid, meine Liebe:
    Da!
    Bsssss
    Scheiße!
    Dämmerung
    Im Dämmer die Katzen, sie spielen. Sie
    haschen nach purpurnen Faltern. Sie
    schnellen jäh in die Höhe. Sie
    reißen die Beute zu Boden. Sie
    schnauben zum Rasen der Flügel. Sie
    knurren zum knatternden Flattern. Sie
    halten die Falter und sie fressen sie.
    Olbioa – Livorno
    Es ging die ganze Zeit an Korsika entlang,
    bei steifem Wind, ich hoffe, man sagt so,
    an diesem blaubehauchten, drachenhaften Land,
    davor das Wasser, blendend und bewegt,
    darüber hohe Wolken wie in Wartestellung,
    als ob der stundenlang gezackte Rücken
    sich plötzlich aus dem Wasser heben könnte
    und irgend jemand müsse da sein, der ihn mäßigt,
    sich allzuhoch ins Himmelsblau zu recken: Korsika,
    ich bitt Sie! Wenn das nun jede Insel machen würde!
    Septemberreise
    - Du also hast schon vor Beeren gekniet?
    - Ja, ich hab schon vor Beeren gekniet.
    - Erkläre dich deutlicher!
    Denk dir einen Waldsee, denk dem
    See ein steiles Ufer, denk dir
    dieses Ufer dicht bewachsen.
    Denk ihm Binse, Minze, Weide,
    denk das alles schön gespiegelt -
    hast du's?
    - Ja.
    Denk dir Mittagssonne. Denk das
    Wasser leicht gekräuselt. Denk den
    milden Wind. Denk der Libellen
    stetes Unstetsein. Denk dazu
    hoch den schrillen Schrei des Bussards -
    hörst du's?
    - Ja.
    Denk dir einen Schwimmer. Laß ihn
    mit dem Licht durchs Wasser gleiten.
    Denk, wie er sich denkt: Was hängt da
    derart dunkel, derart glitzernd,
    derart lockend in die Fluten -
    siehst du's?
    - Nein.
    Denk dir eine Brombeerhecke.
    Denk sie zwischen Schilf und Weide.
    Denk sie hart im Licht des Mittags.
    Denk sie derart voll von Beeren,
    daß die bis ans Wasser rühren -
    siehst du's jetzt?
    - Ja.
    Denk den Schwimmer. Denk die Beeren.
    Denk ihr Locken. Denk sein Nähern.
    Denk sein Knie. Denk wie's auf

Weitere Kostenlose Bücher