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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Furcht
    Frag mich vorm Kastanienbaum:
    Wem gehört sein Grün?
    Gemütsmenschen
    Das Kraftwerk da vorne?
    Wir sehen es nicht.
    Der Steinbruch da hinten?
    Wir hören ihn nicht.
    Die Putenfarm drüben?
    Wir riechen sie nicht:
    Wir haben ein feines Häuschen, nicht?
    Zurück zur Unnatur
    Zurück aus dem Wald
    wo Blätter verkümmern
    Kronen sich lichten
    Äste verdorren
    Rinden aufplatzen
    Stämme hinstürzen -
    Beute des Sturms
    Opfer des Fortschritts
    Geiseln des Wandels
    Treibgut der Zeit.
    Zurück in der Stadt
    wo strahlende Wände
    den Himmel verstellen
    und ihn verdoppeln -
    Türme aus Glas
    Spiegel des Wechsels
    Stelen aus Licht
    Monumente der Dauer:
    Wer möchte leben
    ohne den Trost der Hochhäuser!
    Fabel
    Als er aber den Baum endlich rausstellte,
    blühte der auf. Wodurch sich herausstellte:
    So ein Baum mag zwar auch drinnen hausen,
    so richtig wohl aber fühlt er sich nur draußen.
    Draußen freilich, auf der Terrasse,
    gewann der Baum derart an Umfang und Masse,
    daß er dem Wohltäter das Wohlfühln vergällte
    und der ihn fällte.
    Natur-Blues
    Kaum atmest du wegen der Eichen auf,
    da gehn schon die ersten Kastanien drauf
    Natur
    Kaum lassen die Kinderkrankheiten nach,
    da fühlst du dich schon etwas altersschwach
    Natur
    Kaum erholt sich dein Land von der Trockenheit,
    da macht sich bereits wieder Hochwasser breit
    Natur
    Kaum hast du entdeckt, welcher Wein dir schmeckt,
    da hat das auch deine Leber gecheckt
    Natur
    Kaum lockt dich der blühende Wiesenrain,
    da stellt sich dort auch schon die Milbe ein
    Natur
    Kaum weißt du, wo man gut essen geht,
    da empfiehlt dir der Arzt eine Nulldiät
    Natur
    Kaum geben die letzten Amseln Ruh,
    da gibt schon der Kauz seinen Senf dazu
    Natur
    Kaum kommt der ersehnte Schlaf herbei,
    da weckt dich schon wieder Amselgeschrei
    Natur
    Kaum daß du die Kunst zu leben erlernst,
    da macht schon der bleiche Geselle ernst:
    Natur.
    Wetterwand
    Wie edel dieses Grau da tut:
    »Ich diene nur als Hintergrund
    für Eiche und Akazie!« und
    schon ist es wieder ein Stück näher gerückt.
    Wie leise dieses Grau da kommt!
    Als spielten wir »Ochs, dreh dich um«.
    Kaum schau ich auf, verharrt es stumm
    und hat sich soeben ein ganzes Gehöft genehmigt.
    Wie gierig dieses Grau da ist!
    Es fraß den Berg, nun frißt's das Feld
    und frißt bald auch die ganze Welt:
    »Der Sieger darf den Verlierer verschlucken.«
    Im Nebel
    Unsichtbar sind Steg und Weiher,
    Rohr und Wiesengrund desgleichen,
    Eichen ragen kahl und dunkel
    aus dem hellen Nebelschleier.
    Ungerührt vom Stirb und Werde
    stehen Tiere um den Weiher,
    Reiher bis zum Hals im Nebel,
    bis zum Bauch im Nebel Pferde.
    Beginn der Sommerzeit 96
    Vorfrühlingstag, kahl und durchsichtig.
    Im Gitter von Ästen das rostende Eisen,
    der Plastikfetzen, die glitzernde Scherbe,
    die Feuerstelle, die bleichenden Knochen:
    Allem geht der Blick auf den Grund.
    Vorfrühlingslicht, fahl und blaustichig.
    Kaum reicht es zum Schatten bei Grube und Haufen,
    Plane und Spaten, Hacke und Krähe,
    alle grundiert vom Braun des Verrottens,
    über allem ein Hauch von grundloser Trauer.
    Als am 4 . 4 . 96 der Winter
zurückkehrte
    Nun alles wieder weiß
    Nun alles wieder tot
    Des Wetters grimme Wut
    Der Tiere liebe Not
    Des Menschen Unverstand:
    Will es denn hier auf Erden
    In diesem Unheiljahr
    gar niemals Frühling werden?
    Der schneebedeckte Tann
    Das frischgeweißte Dach
    Der Winde Kraft so stark
    Der Vögel Flug so schwach
    Des Menschen blinder Zorn:
    »Gott, das kannst du nicht machen!«
    »Du siehst doch, daß ich's kann!«
    Gott's unhörbares Lachen.
    Schön und gut
    Schön, so in den Wald zu schauen,
    drinnen könnten Tiere stehn
    und auf all die Menschen blicken,
    die auf all die Tiere sehn,
    Wie sie auf die Menschen schauen,
    deren Lebenszeit verrinnt
    beim Betrachten all der Tiere -
    gut, daß das nur Wünsche sind.
    Tier und Mensch
    So viele Jahre ohne Tier schon:
    Kein Klagen an der Tür, kein Grüßen
    Kein sehnsuchtsfeuchter Blick, kein Drängen
    Kein Streichen um das Bein, kein Schnurren
    Kein selbstvergeßnes Mahl, kein Lecken
    Kein traumverlornes Ruhn, kein Schlummern -
    So viele Jahre schon gar kein richtiger Mensch mehr.
    Bruder Otter
    »Mensch, wo ist dein Bruder Otter?«
    Diese Frage könnte uns alt aussehen lassen
    am Ende der Tage, wenn wir
    uns zu einer Antwort werden bequemen müssen.
    »Was hat dir der Otter getan, Mensch?«
    Mir? Nichts, Herr! Den munteren Otter
    hab ich immer geliebt. Ich habe
    ihn im Zoo von Jakarta

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