Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Furcht
Frag mich vorm Kastanienbaum:
Wem gehört sein Grün?
Gemütsmenschen
Das Kraftwerk da vorne?
Wir sehen es nicht.
Der Steinbruch da hinten?
Wir hören ihn nicht.
Die Putenfarm drüben?
Wir riechen sie nicht:
Wir haben ein feines Häuschen, nicht?
Zurück zur Unnatur
Zurück aus dem Wald
wo Blätter verkümmern
Kronen sich lichten
Äste verdorren
Rinden aufplatzen
Stämme hinstürzen -
Beute des Sturms
Opfer des Fortschritts
Geiseln des Wandels
Treibgut der Zeit.
Zurück in der Stadt
wo strahlende Wände
den Himmel verstellen
und ihn verdoppeln -
Türme aus Glas
Spiegel des Wechsels
Stelen aus Licht
Monumente der Dauer:
Wer möchte leben
ohne den Trost der Hochhäuser!
Fabel
Als er aber den Baum endlich rausstellte,
blühte der auf. Wodurch sich herausstellte:
So ein Baum mag zwar auch drinnen hausen,
so richtig wohl aber fühlt er sich nur draußen.
Draußen freilich, auf der Terrasse,
gewann der Baum derart an Umfang und Masse,
daß er dem Wohltäter das Wohlfühln vergällte
und der ihn fällte.
Natur-Blues
Kaum atmest du wegen der Eichen auf,
da gehn schon die ersten Kastanien drauf
Natur
Kaum lassen die Kinderkrankheiten nach,
da fühlst du dich schon etwas altersschwach
Natur
Kaum erholt sich dein Land von der Trockenheit,
da macht sich bereits wieder Hochwasser breit
Natur
Kaum hast du entdeckt, welcher Wein dir schmeckt,
da hat das auch deine Leber gecheckt
Natur
Kaum lockt dich der blühende Wiesenrain,
da stellt sich dort auch schon die Milbe ein
Natur
Kaum weißt du, wo man gut essen geht,
da empfiehlt dir der Arzt eine Nulldiät
Natur
Kaum geben die letzten Amseln Ruh,
da gibt schon der Kauz seinen Senf dazu
Natur
Kaum kommt der ersehnte Schlaf herbei,
da weckt dich schon wieder Amselgeschrei
Natur
Kaum daß du die Kunst zu leben erlernst,
da macht schon der bleiche Geselle ernst:
Natur.
Wetterwand
Wie edel dieses Grau da tut:
»Ich diene nur als Hintergrund
für Eiche und Akazie!« und
schon ist es wieder ein Stück näher gerückt.
Wie leise dieses Grau da kommt!
Als spielten wir »Ochs, dreh dich um«.
Kaum schau ich auf, verharrt es stumm
und hat sich soeben ein ganzes Gehöft genehmigt.
Wie gierig dieses Grau da ist!
Es fraß den Berg, nun frißt's das Feld
und frißt bald auch die ganze Welt:
»Der Sieger darf den Verlierer verschlucken.«
Im Nebel
Unsichtbar sind Steg und Weiher,
Rohr und Wiesengrund desgleichen,
Eichen ragen kahl und dunkel
aus dem hellen Nebelschleier.
Ungerührt vom Stirb und Werde
stehen Tiere um den Weiher,
Reiher bis zum Hals im Nebel,
bis zum Bauch im Nebel Pferde.
Beginn der Sommerzeit 96
Vorfrühlingstag, kahl und durchsichtig.
Im Gitter von Ästen das rostende Eisen,
der Plastikfetzen, die glitzernde Scherbe,
die Feuerstelle, die bleichenden Knochen:
Allem geht der Blick auf den Grund.
Vorfrühlingslicht, fahl und blaustichig.
Kaum reicht es zum Schatten bei Grube und Haufen,
Plane und Spaten, Hacke und Krähe,
alle grundiert vom Braun des Verrottens,
über allem ein Hauch von grundloser Trauer.
Als am 4 . 4 . 96 der Winter
zurückkehrte
Nun alles wieder weiß
Nun alles wieder tot
Des Wetters grimme Wut
Der Tiere liebe Not
Des Menschen Unverstand:
Will es denn hier auf Erden
In diesem Unheiljahr
gar niemals Frühling werden?
Der schneebedeckte Tann
Das frischgeweißte Dach
Der Winde Kraft so stark
Der Vögel Flug so schwach
Des Menschen blinder Zorn:
»Gott, das kannst du nicht machen!«
»Du siehst doch, daß ich's kann!«
Gott's unhörbares Lachen.
Schön und gut
Schön, so in den Wald zu schauen,
drinnen könnten Tiere stehn
und auf all die Menschen blicken,
die auf all die Tiere sehn,
Wie sie auf die Menschen schauen,
deren Lebenszeit verrinnt
beim Betrachten all der Tiere -
gut, daß das nur Wünsche sind.
Tier und Mensch
So viele Jahre ohne Tier schon:
Kein Klagen an der Tür, kein Grüßen
Kein sehnsuchtsfeuchter Blick, kein Drängen
Kein Streichen um das Bein, kein Schnurren
Kein selbstvergeßnes Mahl, kein Lecken
Kein traumverlornes Ruhn, kein Schlummern -
So viele Jahre schon gar kein richtiger Mensch mehr.
Bruder Otter
»Mensch, wo ist dein Bruder Otter?«
Diese Frage könnte uns alt aussehen lassen
am Ende der Tage, wenn wir
uns zu einer Antwort werden bequemen müssen.
»Was hat dir der Otter getan, Mensch?«
Mir? Nichts, Herr! Den munteren Otter
hab ich immer geliebt. Ich habe
ihn im Zoo von Jakarta
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