Gesammelte Wanderabenteuer
– eine perfekte Flugschau.
Langsam wurde es zu steil für meinen Vater, besonders der Abstieg hinunter Richtung Landstraße. »Majusebedda«, fluchte er, »das ist hier aber gar nicht gut für Venen und Gelenke.« »Majusebedda« ist ein Stoßgebet |44| aus dem Trierer Raum. Die Kurzform »Maju« gebraucht man, wenn nicht so viel Zeit ist. »Majusebedda« steht für Maria, Josef und Peter. Es werden also die Eltern des Heilands und der Stadtpatron Triers, der heilige Petrus, angerufen, um den Verdruss in kritischen Situationen des Lebens zu lindern.
Und das »Majusebedda« half. Der Weg verlief von nun an angenehm auf halber Höhe zwischen Tal und Bergkamm. Erst zwölf Kilometer hinter Manderscheid stießen wir auf das erste Anzeichen von Zivilisation. Wir erreichten die Landstraße 60. Wir mussten ungefähr 300 Meter an der Straße entlanggehen. Wir liefen auf der rechten Fahrbahnseite, weil der Lieserpfad auch von dort abzweigen sollte. Das war gegen die Vorschrift, da man auf Landstraßen ohne Bürgersteig immer links gehen soll. Es rettete uns aber das Leben. Ein sichtbar geisteskranker Eifeleinwohner in einem roten Golf raste mit ungefähr 120 Stundenkilometer durch die lang gezogene Kurve. Er nahm sie jedoch so eng, dass wir auf der linken Seite Matsch gewesen wären.
Der irre Autoraser hatte ein Wittlicher Kennzeichen (WIL). Bei meinen Wanderungen achte ich immer auf die Autokennzeichen der Orte, die ich durchquere. Die Wanderung mit meinem Vater war in DAU gestartet, die |45| Grenze zu WIL hatten wir schon kurz vor Manderscheid durchbrochen. Zwei Autokennzeichen-Regionen sind fast ein Muss, aber besonders stolz bin ich auf Touren, die drei Autokennzeichen entsprechen.
Fast wären wir von einem kranken Eifel-Raser überfahren worden
Nach der Landstraße ging es ruhig weiter, und mein Vater und ich hingen unseren Gedanken nach, obwohl zumindest in meinem Kopf meist überhaupt kein Gedanke war. Oft fragt dann der Partner: »Schatz, woran denkst du?« – »An nichts.« Und das stimmt sehr, sehr oft.
Kurz vor unserem Ziel versuchten wir, schon einmal ein Resümee des Tages zu ziehen. Wie Fußballreporter kurz vor Ende der Spielzeit das gesamte Spielgeschehen vom Ergebnis her kommentieren. »Das zeichnete sich frühzeitig ab«, »dieses Ergebnis geht auch in dieser Höhe in Ordnung«.
Dem letzten Abschnitt bescheinigte mein Vater Wellness-Charakter, und so lautete das vorläufige Fazit: Das war ein Wanderprofil Marke »Qual & Meditation«, erst Muckibude, dann Wellness, erst Intervalltraining, dann lockeres Auslaufen.
Ich geriet noch in eine größere moralische Zwickmühle. Am Wegesrand lag ein Bilderbuch-Vogelnest, aus |46| kleinen Zweigen zusammengebastelt. Zwei kleine Vögel lagen in dem Nest und waren tot. Neben dem Nest lag ein weiteres Küken im Todeskampf und zuckte mit den kleinen Beinchen. Sollte ich jetzt einfach weitergehen oder das Leid des Vögelchens durch einen beherzten Hieb mit einem Stein beenden? Ich blieb tatenlos und ging einfach weiter. Die Szene verfolgte mich aber noch einige Tage. Ich fragte einige geschätzte Moralinstitutionen in meinem Umfeld. Alle verurteilten mein Weitergehen. Natürlich hätte ich dem Vogel den Gnadenstoß geben müssen. Aber meine Moralinstanzen hätten es auf Nachfrage wohl auch nicht geschafft, wirklich zuzuschlagen. Ich nahm mir vor, bei einem eventuellen nächsten Mal beherzter zu handeln.
18 Kilometer hinter Manderscheid stießen wir auf das erste Hinweisschild der Gaststätte »Alte Pleiner Mühle«. Wir verließen den Lieserpfad, um einzukehren. Am lauschigen Bach gönnten wir uns einen kühlen Käsekuchen (Vater) und eine köstliche Tomatensuppe (ich). Wir beschlossen, dass der Restweg nach Wittlich (es wären noch sechs Kilometer gewesen) das heute Erlebte nicht mehr toppen würde. Außerdem hätten wir durch das Weiterwandern den Intercity nach Köln verpasst. (Im eigenen Interesse eine Bitte an alle Lieserpfad-Wanderer: Unbedingt in der »Alten Pleiner Mühle« einkehren! Nicht dass die Eigentümer mangels Umsatz dichtmachen müssen und ich da kein Bier mehr trinken kann! Danke!)
Ich bat den Wirt der »Alten Pleiner Mühle«, uns ein Taxi zu bestellen. In einer Gaststätte wissen sie, wo man anrufen muss, ansonsten kann es ganz schön lange dauern, |47| bis man herausgefunden hat, in welchem Dorf und unter welcher Telefonnummer es überhaupt ein Taxi gibt. Verzögerungen können sich immer noch ergeben, wenn der Taxifahrer gerade bei
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