Gesammelte Wanderabenteuer
Unterschied.
Der Moderator des Abends kürte zunächst die zehn erfolgreichsten Wandergruppen. Dann wurden die Einzelweltmeister gekürt. Parka-Mann war fünfter geworden, Jogging-Mann war zweiter und sichtlich enttäuscht. Wanderweltmeister war Speedy-Mann mit insgesamt 194 Kilometern Gesamtleistung. Das war ein Schnitt von fast 65 Kilometer pro Tag. Ich hatte Speedy-Mann seit den ersten fünf Minuten der WM nicht mehr gesehen, aber deswegen war er auch Speedy-Mann.
Meine eigene Leistung von insgesamt 116 Kilometern reichte für den 25. Platz der Gesamtwertung und weil ich nicht aufgegeben hatte, war ich doch noch ganz zufrieden. Graz-Mann hatte schon die Heimreise angetreten und dem Vernehmen nach hatte auch Stöcke-Mann die WM nicht beenden können, da er sich an den ersten beiden Tagen übernommen hatte.
Am Ende der Veranstaltung wurden alle Teilnehmer zur Wanderweltmeisterschaft 2007 nach Innsbruck eingeladen. Ich glaube, die müssen dort ohne mich auskommen. Wie hatte der Bergführer in der roten Jacke an meinem Schicksalsberg |441| Hochwurzen gesagt: »Ich halte nichts vom Wandern als Hochleistungssport. Wandern sollte etwas mit Naturgenuss zu tun haben.« Nie wieder werde ich sinnlos und stumpf aus falschem Ehrgeiz heraus Kilometer bolzen. Ich werde brav auf meinen Orthopäden hören und meine Gelenke schonen. Immerhin bin ich nicht mehr der Jüngste. Ich werde immer aufs Neue, bei jeder neuen Tour, die ich plane, an jeder neuen Ecke in Deutschland, die ich entdecke, in mich hineinhorchen, was das genau ist: Wandern.
Aufführungslänge
54 Kilometer am ersten Tag, 20 Kilometer am zweiten und
42 Kilometer am dritten Tag. Zusammen 116 Kilometer. Die Kilometerangaben zumindest an den ersten beiden Tagen waren unmöglich realistisch. Ich schätze, dass ich korrekt gemessen insgesamt ungefähr 100 Kilometer gegangen bin.
Aufführungsdauer
Am ersten Tag 8 Stunden und 7 Minuten ohne Pause, am zweiten Tag knapp 4 Stunden mit ganz vielen Pausen und am dritten Tag 9 Stunden und 3 Minuten mit zwei 10-minütigen Pausen. Die zweite Pause nur im Stehen da ich – wie gesagt – nach dem Sitzen nicht mehr laufen konnte. Mit diesen 9 Stunden
war ich nur gute 4 Stunden langsamer als bei meinem »richtigen« Marathon in Köln gewesen, für den ich quälende 4 Stunden und 52 Minuten gebraucht habe. Aber das ist eine andere Geschichte.
|443| Blick ohne Aussichtstürme
Wieder auf dem Rheinsteig
Es war nicht mein Tag. Ein »Jour sans« sagen die Franzosen, wenn ein Fahrer während der Tour de France etwas schwächelt. Ja, wahrscheinlich lag es am »Tag ohne«, dass ich eine der tollsten Aussichten entlang des Rheins überhaupt genießen konnte. Eine Viertelstunde nach Beginn meiner Wanderung war ich mit meinen Kräften am Ende.
Ich war mit dem Zug nach Braubach südlich von Koblenz gefahren und wollte wieder einen Tag auf dem Rheinsteig wandern. Die Etappe zwischen Braubach und Koblenz ist mit 21 Kilometern eine der längsten und mit 1.145 Höhenmetern auch eine der anspruchsvollsten. Und ausgerechnet auf diesem Abschnitt hatte ich einen »Jour sans«! Ich wusste nicht, was los war, aber schon die erste Steigung hinter Braubach ließ meinen Atem flach und meine Beine schwer werden. Ich musste mich kurz am Wegesrand auf eine kleine Mauer setzen und ausruhen. Und dann dieser Ausblick!
Es gehört zum Wesen des Rheinsteigs, reich an Aussichten zu sein. Das kann sogar ein wenig nerven, wenn man immer auf die nächste Anhöhe gejagt wird, um wieder und wieder auf den Rhein zu schauen. Aber dieser Blick war anders.
Ich versuche mal eine Bildbeschreibung. In der Bildmitte erhob sich die Marksburg, eine der schönsten Burgen Deutschlands, wenn nicht gar der Welt, auf einem kleinen Hügel. Zumindest ist es eine echte Burg, das heißt, dass dort einst auch Grafen und Ritter gehaust haben, und nicht |444| Uerdinger Zuckerfabrikanten, Japaner oder Thomas Gottschalk. Unterhalb des Hügels schmiegte sich die kleine Stadt Braubach zwischen Rhein und Burg. Da dieser Sprengel einst zu Hessen gehörte, ist er noch heute eine evangelische Enklave.
Der Rhein zog im Hintergrund nicht gewohnt majestätisch vorbei, sondern nahm keck eine Neunzig-Grad-Kurve Richtung Westen, die ihn fast verspielt mosellesk wirken ließ. Denn eigentlich verläuft der Rhein von Bingen bis Bonn relativ schnurstracks in nördlicher Richtung. Nur zwischen Braubach und Filsen beschreibt er eine kühne S-Kurve. Im Bildvordergrund hingegen wuchs ein riesiger
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