Gesammelte Werke 1
es keine. Alle im Labor waren am Arbeiten oder gaben sich den Anschein - das wusste man bei ihnen nie so genau. An den Geräten blinkten Lämpchen, in den Gefäßen brodelten Flüssigkeiten, es stank und irgendwo quälte man Tiere. Die Räume waren hell, sauber und geräumig. Die Menschen wirkten ruhig und wohlgenährt, Enthusiasmus zeigten sie aber nicht. Sie begegneten dem Inspektor korrekt, aber ohne Zuneigung - auf jeden Fall ließen sie die geziemende Unterwürfigkeit vermissen.
Und fast in jedem Raum - ob Büro oder Labor - hing ein Porträt des Wanderers: über dem Arbeitsplatz, neben Tabellen und Grafiken, an der Wand zwischen den Fenstern, über der Tür, manchmal sogar unter Glas auf dem Tisch. Es waren Fotografien, Bleistift- und Kohlezeichnungen, und eins der Bilder war sogar in Öl. Man sah den Wanderer beim Ballspiel, den Wanderer, wie er eine Vorlesung hielt oder wie er in einen Apfel biss. Mal sah man den Wanderer streng, mal nachdenklich, dann müde oder wütend - und schließlich einen Wanderer, der aus vollem Halse lachte. Diese Bastarde hatten sogar Cartoons auf ihn gezeichnet und sie an die auffälligsten Stellen geheftet. Der Staatsanwalt versuchte sich vorzustellen, dass er ins Arbeitszimmer des Unterjustizrates Filtik träte und dort eine Karikatur auf sich entdeckte. Massaraksch, das war unvorstellbar, unmöglich!
Während er lächelte, auf Schultern klopfte und Hände drückte, dachte er die ganze Zeit, dass er seit vorigem Jahr nun schon das zweite Mal hier war, und alles anscheinend unverändert vorfand, er aber früher nie auf diese Details geachtet
hatte. Und nun achtete er darauf. Warum erst jetzt? … Ah, deswegen: Vor ein oder zwei Jahren war der Wanderer zwar formal einer von ihnen gewesen, de facto aber hatte er weder Einfluss auf die Politik noch einen Platz darin oder eigene Ziele. Seit jener Zeit aber hatte er viel erreicht. Die gesamtstaatliche Operation zur Unschädlichmachung von ausländischen Spionen - das war sein Verdienst. Der Staatsanwalt hatte diese Prozesse selbst geführt und erschüttert feststellen müssen, dass er es hier nicht mit den üblichen Spionen der Entarteten zu tun hatte, die man nicht ernst zu nehmen brauchte, sondern mit ausgekochten Aufklärern, die vom Inselimperium eingeschleust worden waren, um wissenschaftliche und ökonomische Informationen zu sammeln. Der Wanderer hatte sie alle gestellt, bis auf den letzten; seitdem war er der unangefochtene Chef der besonderen Abwehr.
Weiter: Es war der Wanderer, der die Verschwörung der glatzköpfigen Wasserblase aufdeckte - einer unheimlichen Figur, die fest im Sattel gesessen und mit aller Kraft versucht hatte, dem Wanderer als Chef der Abwehr das Wasser abzugraben - und ihm dabei sehr gefährlich wurde. Doch der Wanderer brachte ihn zur Strecke, allein, hat keinem anderen vertraut. Er ist immer offen aufgetreten, hat sich nie versteckt, nur im Alleingang gehandelt - keine Koalitionen, keine Pakte, keine Bündnisse. Drei Chefs des Militärdepartements hat er nacheinander gestürzt - es blieb ihnen nicht einmal die Zeit, »piep« zu sagen, so schnell wurden sie nach oben zitiert und entlassen - bis er erreichte, dass Hampelmann auf den Posten kam -, Hampelmann, der panische Angst hat vorm Krieg. Und vor einem Jahr hat er das Projekt »Gold« vereitelt, das vom Reichsverband für Industrie und Finanzen vorgelegt worden war. Damals schien es, als würde man den Wanderer jeden Augenblick davonjagen, denn den Papa hatte die Vorlage begeistert. Aber irgendwie konnte der Wanderer ihm schließlich doch beweisen, dass der Nutzen des Projekts nur
von kurzer Dauer sein würde: Nach zehn Jahren würde eine Massenepidemie des Wahnsinns ausbrechen, gefolgt vom vollständigen Ruin. Stets hat er es geschafft, sie zu überzeugen, obwohl kein anderer sie je von etwas überzeugen konnte; nur dem Wanderer ist das gelungen. Und es liegt auch auf der Hand, warum: Er hat sich nie vor irgendetwas gefürchtet. Freilich, er hat sich lange in seinem Arbeitszimmer vergraben, letztlich aber seinen wahren Wert erkannt. Er hat begriffen, dass wir ihn alle brauchen, wer auch immer wir sind und wie auch immer wir uns gegenseitig anfeinden. Denn nur er ist in der Lage, einen Schutz gegen die Strahlen zu entwickeln, er allein kann uns von diesen Qualen erlösen.
Und diese weiß bekittelten Rotznasen zeichnen Karikaturen auf ihn!
Der Referent riss die nächste Tür auf, und der Staatsanwalt erblickte seinen Mak. Im weißen Kittel, einen
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