Gesammelte Werke 1
Besprechung wäre wunderbar«, antwortete Toivo hinter mir. »Ich habe aber den Eindruck, dass jetzt nicht die Zeit für dienstliche Besprechungen ist.«
»Du irrst dich. Gerade jetzt ist die Zeit dazu. Und was Bader betrifft … Denk jetzt nicht daran. Denk an die Sache.«
»In Ordnung«, erwiderte Toivo gehorsam.
Gorbowskis Häuschen »Leonidsheim« war ein ganz gewöhnlicher Standardbau mit einer Architektur vom Beginn des Jahrhunderts: die Lieblingsbehausung von Raumfahrern, Tiefseearbeitern oder Erdmanteldurchquerern, die große Sehnsucht nach ländlicher Idylle hatten - ohne Werkstatt, Stall oder Küche, dafür aber mit einem eigenen Nebenbau für die Energieversorgung der persönlichen Null-Anlage, die Gorbowski als Mitglied des Weltrats zustand. Und darum herum standen Kiefern und ein Dickicht aus Heidekraut; es roch stark nach Nadelzweigen, und in der windstillen Luft summten schläfrig die Bienen.
Wir betraten die Veranda und gingen durch die offen stehende Türe ins Haus. Im Wohnzimmer, wo die Vorhänge dicht zugezogen waren und nur eine Stehlampe neben dem Sofa brannte, saß ein Mann, die Beine übereinandergeschlagen, und betrachtete im Schein der Lampe eine Karte oder ein Mentoschema. Es war Komow.
»Guten Tag«, sagte ich. Toivo verbeugte sich schweigend.
»Guten Tag, guten Tag«, erwiderte Komow als sei er ungeduldig. »Kommen Sie herein, setzen Sie sich. Er schläft. Ist eingeschlafen. Dieser verfluchte Bader hat ihn mit seinem Gerede völlig geschafft. Sie sind Glumow?«
»Ja«, sagte Toivo.
Komow musterte ihn voller Neugier. Ich hustete, und Komow besann sich augenblicklich. »Ihre Mutter ist nicht zufällig Maja Toivowna Glumowa?«, fragte er.
»Doch«, antwortete Toivo.
»Ich hatte die Ehre, mit ihr zusammenzuarbeiten«, sagte Komow.
»Wirklich?«, fragte Toivo.
»Ja. Hat Sie es Ihnen nicht erzählt? Die Operation ›Arche‹ …«
»Ja, ich kenne die Geschichte«, sagte Toivo.
»Womit befasst sich Maja Toivowna jetzt?«
»Mit Xenotechnologie.«
»Wo? Bei wem?«
»An der Sorbonne. Ich glaube, bei Saligny.«
Komow nickte und sah immer wieder Toivo an. Seine Augen glänzten. Der Anblick von Maja Glumowas erwachsenem Sohn rief anscheinend lebhafte Erinnerungen in ihm wach. Ich hustete noch einmal, und sofort wandte sich Komow mir zu. »Wir müssen ein wenig warten. Ich möchte ihn nicht wecken. Er lächelt im Schlaf. Träumt von etwas Schönem. Zum Teufel mit Bader mit seinem Geflenne!«
»Was sagen die Ärzte?«, erkundigte ich mich.
»Immer dasselbe. Lebensüberdruss. Dagegen gibt es keine Medikamente. Das heißt, es gibt welche, aber er will sie nicht nehmen. Er hat das Interesse am Leben verloren, das ist es. Wir können das nicht verstehen. Immerhin ist er über 150 Jahre alt. Aber sagen Sie, Glumow, was macht Ihr Vater beruflich?«
»Ich sehe ihn kaum«, sagte Toivo. »Ich glaube, er ist jetzt Hybridisator, auf der Jaila.«
»Und Sie selbst …«, setzte Komow an, verstummte aber, weil aus dem Innern des Hauses eine schwache, etwas heisere Stimme drang: »Gennadi! Wer ist da bei Ihnen? Sie können hereinkommen.«
»Gehen wir«, sagte Komow und war schon aufgesprungen.
Im Schlafzimmer standen die Fenster weit offen. Gorbowski lag auf dem Sofa, bis ans Kinn in eine karierte Decke gehüllt. Er wirkte unglaublich lang, hager und zum Weinen erbärmlich. Seine berühmte schuhförmige Nase schien verknöchert; die Wangen waren eingefallen, die tief eingesunkenen Augen traurig und matt, als wollten sie nichts mehr sehen. Aber sie mussten, und so sahen sie.
»Ah, Mäxchen«, murmelte Gorbowski, als er mich erblickte. »Du siehst immer noch so … blendend aus. Ich freue mich, dich zu sehen, ich freue mich.«
Das war nicht wahr. Er freute sich nicht, Mäxchen zu sehen. Und es gab nichts, worüber er sich freute. Sicherlich glaubte er, freundlich zu lächeln, aber in Wirklichkeit lag auf seinem Gesicht eine Grimasse gequälter Liebenswürdigkeit. Man spürte eine unendliche und nachsichtige Geduld in ihm, als denke Leonid Andrejewitsch gerade: Da ist also noch jemand gekommen, na ja, es wird ja nicht ewig dauern, dann gehen sie wieder, wie alle vor ihnen gegangen sind, und lassen mich endlich in Ruhe.
»Und wer ist das?«, erkundigte sich Gorbowski, wobei es ihm offensichtlich schwerfiel, seine Apathie zu überwinden.
»Das ist Toivo Glumow«, sagte Komow. »Von der KomKon, Inspektor. Ich habe Ihnen erzählt …«
»Ja-ja-ja …«, sagte Gorbowski träge. »Ich erinnere
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