Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Gefühl verlangt.
    Damit endete die von Ulrich herbeigeführte Bemerkung und hatte ungefähr diese Erklärungen in dieser Reihenfolge enthalten. Kaum weniger kurz und übertrieben wie die Behauptung, daß Gefühl das wenigste an der Liebe sei, ließ sich also auch sagen, weil sie ein Gefühl sei, sei sie nicht am Gefühl zu erkennen. Etwas Licht fiel davon übrigens auf die Frage, weshalb er die Liebe ein moralisches Erlebnis genannt hatte. Die drei Hauptworte Anlage, Ausgestaltung und Verfestigung aber waren die Hauptknoten gewesen, die das geordnete Verständnis der Gefühlserscheinung zusammenknüpfen; zumindest nach einer bestimmten grundsätzlichen Auffassung, an die sich Ulrich nicht am unliebsten wandte, wenn er einer solchen Erklärung bedurfte. Aber weil nun die richtige Ausführung von dem allen größere und tiefer ins Lehrmäßige führende Ansprüche gestellt hätte, als er auf sich zu nehmen gewillt war, brach er das Begonnene bei diesem Stande ab.
    Die Fortsetzung spannte nach zwei Richtungen. Nach der Ansage des Gesprächs hätten jetzt Gegenstand und Handlung der Liebe an die Reihe kommen sollen, um an ihnen zu bestimmen, was deren höchst ungleiche Erscheinung bewirkt; und schließlich zu erfahren, was Liebe «denn eigentlich» sei. Darum war auch von dem Hineinspielen von Handlungen in die Bestimmung des Gefühls schon bei dessen Ursprung die Rede gewesen, was sich von seinem späteren Schicksal erst recht sollte wiederholen lassen. Aber Agathe stellte noch eine Frage; es wäre nämlich möglich gewesen – und sie hatte Gründe, wenn nicht zum Verdacht, so doch zur Angst vor ihm – daß die von ihrem Bruder gewählte Erklärung eigentlich nur für ein schwaches Gefühl gelte oder für eine Erfahrung, die von starken nichts wissen wolle.
    Ulrich erwiderte: «Nicht im mindesten! Gerade in seiner größten Stärke ist das Gefühl nicht am sichersten. In der höchsten Angst ist man gelähmt oder schreit auf, statt zu fliehen oder sich zu wehren. Im höchsten Glück ist oft ein eigenartiger Schmerz. Selbst zu großer Eifer ‹schadet nur›, wie man sagt. Und im allgemeinen läßt sich behaupten, daß im höchsten Fühlen die Gefühle wie in einer Blendung die Farbe verlieren und vergehen. Vielleicht ist die ganze uns bekannte Gefühlswelt nur für ein mittleres Leben beschaffen und hört bei den höchsten Graden auf, wie sie nicht schon bei den geringsten anfängt.» Mittelbar gehörte auch hinzu, was man erfährt, wenn man seine Gefühle beobachtet, besonders wenn man sie «unter die Lupe» nimmt. Sie werden dann undeutlich und sind schwer zu unterscheiden. Was sie dabei an der Deutlichkeit der Stärke verlieren, müßten sie aber durch die der Aufmerksamkeit wenigstens einigermaßen gewinnen, und nicht einmal das tun sie. – So erwiderte Ulrich, und diese Nebeneinanderstellung von Verlöschen des Gefühls in der Selbstbetrachtung und in den höchsten Graden seiner Erregung war nicht zufällig. Denn beides sind Zustände, in denen das Handeln aufgehoben oder gestört ist; und weil der Zusammenhang zwischen Fühlen und Handeln so eng ist, daß ihn manche für eine Einheit halten, ergänzten die beiden Beispiele einander nicht ohne Sinn.
    Was er aber zu sagen vermied, war gerade das, was sie beide persönlich davon wußten, daß wirklich mit der höchsten Stufe des Liebesgefühls ein Zustand des geistigen Erlöschens und der körperlichen Ratlosigkeit verbunden sein kann. Darum wandte er das Gespräch von der Bedeutung, die das Handeln fürs Fühlen hat, mit einer gewissen Gewaltsamkeit ab; und scheinbar in der Absicht, wieder der Einteilung der Liebe nach Gegenständen zu erwähnen, Auf den ersten Blick schien sich diese etwas grillenhafte Möglichkeit auch besser zu dem Behuf zu eignen, die Vieldeutige in Ordnung zu bringen. Denn wenn es, mit einem Beispiel zu beginnen, Lästerung ist, die Liebe zu Gott mit dem gleichen Wort zu bezeichnen wie die zum Fischen, so liegt das doch zweifellos an dem Unterschied dessen, dem die Liebe gilt; und so läßt sich die Bedeutung des Gegenstands auch an anderen Beispielen ermessen. Was die ungeheuren Unterschiede in die Beziehung, etwas zu lieben, hineinträgt, ist also nicht sowohl die Liebe als vielmehr das Etwas. So gibt es Gegenstände, welche die Liebe reich und gesund machen; und andere, die sie arm und kränklich machen, als ob das allein an ihnen läge. Es gibt Gegenstände, die die Liebe erwidern müssen, wenn diese ihre ganze Kraft und Eigenart

Weitere Kostenlose Bücher