Gesammelte Werke
entfalten soll; und andere gibt es, bei denen jede ähnliche Forderung zum voraus sinnlos wäre. Platterdings unterscheidet das die Beziehung zu lebenden Wesen von der zu unbeseelten; aber auch unbeseelt ist der Gegenstand der rechte Gegenspieler der Liebe, und seine Eigenschaften beeinflussen die ihren.
Je ungleichwertiger dieser Gegenspieler nun ist, desto schiefer, um nicht zu sagen leidenschaftsverzerrter, wird sie selbst. «Vergleiche» mahnte Ulrich «die gesunde Liebe junger Menschen für einander und die lächerlich übertriebene des Einsamen zu Hund, Katze oder Piepmatz. Sieh die Leidenschaft zwischen Mann und Frau erlöschen oder wie einen abgewiesenen Bettler lästig werden, wenn sie nicht oder nicht voll erwidert wird. Vergiß auch nicht, daß in ungleichen Verbindungen, wie sie zwischen Eltern und Kindern oder Herr und Diener bestehn, zwischen einem Mann und dem Gegenstand seines Ehrgeizes oder seines Lasters, das Verhältnis zur Gegenliebe der unsicherste, und schlechthin der verderbliche Teil ist. Überall, wo der regelnde natürliche Austausch zwischen dem Zustand und dem Gegenspieler der Liebe mangelhaft ist, entartet sie wie ein ungesundes Gewebe!» – Dieser Gedanke schien ihn durch etwas Besonderes anzuziehen. Er hätte sich vielfach und mit vielen Beispielen ausbreiten lassen; aber während sich Ulrich diese noch überlegte, lenkte etwas, worauf es dabei nicht abgesehen war, das aber wohl den abgesehenen Weg mit Erwartung belebte wie ein querfeldein kommender Wohlgeruch, scheinbar fast versehentlich das Nachdenken auf das, was in der Malerei Stilleben genannt wird, oder nach dem entgegengesetzten, aber ebenso guten Vorgang einer fremden Sprache die Nature morte . «Gewissermaßen ist es lächerlich, daß ein Mensch einen gut gemalten Hummer schätzt,» fuhr Ulrich unvermittelt fort «spiegelblanke Trauben und einen an den Läufen aufgehängten Hasen, in dessen Nähe immer auch ein Fasan ist; denn der menschliche Appetit ist etwas Lächerliches, und gemalter Appetit noch lächerlicher als natürlicher.» Und beide hatten sie das Gefühl, daß diese Anknüpfung tiefer zurückgreife, als es den Anschein hätte, und zu der Fortsetzung dessen gehöre, was sie von sich selbst zu sagen unterlassen hatten.
Denn in den wirklichen Stilleben – Dingen, Tieren, Pflanzen, Landschaften und Menschenkörpern, die in den Kreis der Kunst gebannt worden sind – zeigt sich etwas anderes, als sie darstellen, nämlich die geheimnisvolle Dämonie des gemalten Lebens. Es gibt berühmte solche Bilder, die beiden wußten also, woran sie waren; man tut aber besser, nicht von bestimmten, sondern von einer Art von Bildern zu sprechen, die überdies auch nicht Schule macht, sondern regellos auf den Wink der Schöpfung entsteht. Agathe fragte, woran sie zu erkennen sei. Ulrich lehnte zwar sichtlich ab, ein entscheidendes Merkmal anzugeben, sagte aber doch langsam, lächelnd und ohne Zaudern: «Das erregende, undeutliche, unendliche Echo!»
Und Agathe verstand ihn. Irgendwie fühlt man sich am Strand. Kleine Insekten summen. Die Luft bringt hunderte Wiesengerüche mit sich. Gedanke und Gefühl wandern geschäftig selbander. Aber vor den Augen ist die nicht verantwortende Einöde des Meers, und was am Ufer Bedeutung hat, verliert sich an die eintönige Regung des unendlichen Anblicks. Sie dachte daran, daß alle wahren Stilleben diese glückliche unersättliche Traurigkeit erregen können. Je länger man sie ansieht, desto deutlicher wird es, daß die von ihnen dargestellten Dinge am bunten Ufer des Lebens zu stehen scheinen, das Auge voll Ungeheurem, und die Zunge gelähmt.
Ulrich erwiderte nun mit einer anderen Umschreibung. «Eigentlich malen alle Stilleben die Welt vom sechsten Schöpfungstag; wo Gott und die Welt noch unter sich waren, ohne den Menschen!» Und auf ein fragendes Lächeln seiner Schwester sagte er: «Was sie menschlich erregen, wäre also wohl Eifersucht, geheimnisvolle Neugierde und Kummer!»
Das war beinahe ein «Aperçu», und nicht einmal das schlechteste; er vermerkte es mißfällig, denn er liebte diese wie Kugeln gedrechselten und flüchtig vergoldeten Einfälle nicht. Er tat aber auch nichts, sich zu verbessern, und ebensowenig fragte seine Schwester danach. Denn sich auskömmlich über die unheimliche Kunst des Stillebens oder der Nature morte zu äußern, war ihnen beiden deren seltsame Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Leben hinderlich.
Sie spielte darin eine große Rolle. Ohne daß es nötig
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