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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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unglücklicherweise auf den Rücken des Herrn Bürgermeisters, der infolgedessen nicht weniger als ein halbes Dutzend Mal angesichts sämtlicher Leute von Rotterdam Purzelbaum schlug. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass der große Underduk diese Unverschämtheit vonseiten des alten Männchens ungestraft hinzunehmen gesonnen war. Es heißt im Gegenteil, dass er bei jeder der sechs Umdrehungen einen betonten und wütenden Zug aus der Pfeife tat, die er die ganze Zeit krampfhaft festhielt und (so Gott will) bis zum Tag seines Hinscheidens festzuhalten beabsichtigt.
    Inzwischen stieg der Ballon wie eine Lerche in die Lüfte, segelte hoch über der Stadt dahin und verschwand endlich still hinter einer ebensolchen Wolke wie jener, aus der er so seltsam hervorgetreten war – und wurde so für immer den Blicken der braven Einwohner von Rotterdam entzogen. Die ganze Aufmerksamkeit wandte sich nun dem Brief zu, der durch seine Niederkunft und deren Folgen so unheilvoll umstürzlerisch für die Person wie auch für das persönliche Ansehen Seiner Exzellenz van Underduk geworden war. Der Beamte jedoch hatte nicht verfehlt, während seiner kreisenden Bewegung daran zu denken, die Epistel in Sicherheit zu bringen, die, wie sich bei näherem Zusehen herausstellte, in die richtigen Hände fiel, da sie tatsächlich an ihn selbst und den Professor Rubadub in ihrer amtlichen Eigenschaft als Präsident und Vizepräsident der Rotterdamer Astronomischen Hochschule gerichtet war. Der Brief wurde also von den beiden Würdenträgern auf der Stelle geöffnet und enthielt folgende erstaunlichen und äußerst wichtigen Mitteilungen:
    An Ihre Exzellenzen van Underduk und Rubadub – Präsident und Vizepräsident der Staatshochschule für Astronomie in der Stadt Rotterdam!
    Eure Exzellenzen werden sich vielleicht eines bescheidenen Handwerksmannes namens Hans Pfaall, seines Zeichens Blasebalgflicker, zu erinnern vermögen, der vor ungefähr fünf Jahren mit drei anderen Männern auf unerklärliche Weise aus Rotterdam verschwand. Wenn es indessen Euren Exzellenzen so gefällt, bin ich, der Schreiber dieser Zeilen, der bewusste Hans Pfaall selber. Es ist den meisten meiner Mitbürger wohl bekannt, dass ich vierzig Jahre lang das kleine Ziegelhaus am Eingang der Sauerkrautgasse bewohnte, und zwar bis zum Zeitpunkt meines Verschwindens. Auch meine Vorfahren haben, länger als man denken kann, da gelebt und haben, ebenso wie ich, ständig das ehrenwerte und einkömmliche Gewerbe eines Blasebalgflickers getrieben, denn – der Wahrheit die Ehre – bis auf die letzten Jahre, wo die Leute anfingen, politisch überklug zu werden, konnte ein ehrlicher Bürger Rotterdams sich kein besseres Gewerbe als mein eignes wünschen. Kredit hatte man genug, an Arbeit fehlte es nie, und weder an Geld noch gutem Willen war je Mangel. Wie ich aber sagte: Wir begannen bald die Folgen der Freiheit zu spüren, und lange Reden folgten und Radikalismus und dergleichen. Leute, die früher die denkbar besten Kunden waren, nahmen sich nun nicht einen Augenblick Zeit, überhaupt an uns zu denken. Sie hatten immerfort revolutionäres Zeug zu lesen und mussten mit der vorwärtsschreitenden Aufklärung Schritt halten, um hinter dem Geist der Zeit nur ja nicht zurückzubleiben. War ein Feuer anzublasen, so benutzte man eine Zeitung dazu, und je schwächer die Regierung wurde, umso stärker wurden Leder und Eisen – denn binnen Kurzem gab es in ganz Rotterdam nicht einen Blasebalg mehr, der auch nur einen Nadelstich oder einen Hammerschlag nötig gehabt hätte.
    Das war ein unerträglicher Zustand. Ich wurde bald so arm wie eine Kirchenmaus, und da ich für Weib und Kinder zu sorgen hatte, wuchs mir meine Last schließlich über den Kopf, und ich verbrachte Stunde um Stunde im Nachsinnen, wie ich meinem Leben auf die angenehmste Art ein Ende machen könne.
    Die Gläubiger indessen ließen mir zur Selbstbetrachtung wenig Muße. Mein Haus blieb von morgens bis abends buchstäblich belagert. Da waren vor allem drei Burschen, die mich unerträglich plagten, beständig meine Tür belauerten und mir mit dem Gesetz drohten. Diesen dreien schwur ich bitterste Rache, wenn es mir je gelingen sollte, sie in meine Klauen zu bekommen, und ich glaube, nichts als das Vorgefühl dieses Vergnügens hat mich abgehalten, meine Selbstmordabsichten sogleich durch Ausblasen des Lebenslichts mit einer Donnerbüchse ins Werk zu setzen. Ich hielt es indessen für das Beste, meine Wut zu verbergen und die

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