Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
Einzug, nachdem ihre Mutter in alles eingewilligt hatte, zeigte René sich höchst aufmerksam, er lud die jungen Mädchen jeden zweiten Tag zum Abendessen ein, führte sie in Filme, die er eigens auswählte, sonderbarerweise lauter Kriminalfilme, die von Rauschgifthandel oder Menschenschmuggel handelten. Er setzte sich zwischen die beiden, nahm jede sanft bei der Hand und sprach kein Wort. Aber O sah, wie er bei jeder Gewaltszene auf eine Regung in Jacquelines Zügen lauerte. Es zeigte sich darin nur ein leichter Ekel, der die Mundwinkel nach unten zog. Danach brachte er sie nach Hause und im offenen Wagen mit den herabgelassenen Scheiben peitschten der Nachtwind und die Geschwindigkeit Jacquelines helles und buschiges Haar über die harten Wangen, die kleine Stirn und bis in ihre Augen. Sie schüttelte den Kopf, um sie zurückzuwerfen, fuhr mit der Hand hindurch, wie ein Junge. Sobald sie sich an die Tatsache gewöhnt hatte, daß sie bei O wohnte und daß O die Geliebte Renés war, schien Jacqueline Renés Vertraulichkeiten als natürliche Begleiterscheinungen zu werten. Sie ließ es ohne weiteres zu, daß René in ihr Zimmer kam, unter dem Vorwand, er habe irgend ein Dokument dort vergessen, was nicht wahr war, O wußte es, sie hatte selbst die Schubladen des großen holländischen Schreibschranks mit der Intarsienarbeit und der lederbezogenen Schreibplatte, der so wenig zu René paßte, geleert. Warum hatte er diesen Schrank? Von wem? Seine schwere Eleganz, die hellen Hölzer waren der einzige Luxus in diesem ein wenig düsteren Nordzimmer, das auf den Hof hinausging und dessen stahlgraue Wände und kalter, wohlgewachster Fußboden einen solchen Kontrast bildeten zu den fröhlichen Zimmern der Quaiseite. Das war ausgezeichnet, Jacqueline würde es dort nicht gefallen. Sie würde um so eher einverstanden sein, mit O die beiden Vorderzimmer zu teilen, bei O zu schlafen, wie sie vom ersten Tag an einverstanden war, Badezimmer und Küche, die Schminken, die Parfüms und die Mahlzeiten mit ihr zu teilen. Worin O sich täuschte. Jacqueline hing leidenschaftlich an Dingen, die ihr gehörten - an ihrer rosa Perle zum Beispiel - war aber absolut gleichgültig gegen alles, was ihr nicht gehörte. Sie hätte ein Palais bewohnen können, es wäre ihr gleichgültig geblieben, bis man ihr gesagt hätte: das Palais gehört Ihnen, und es ihr durch notarielle Bestätigung bewiesen hätte. Ob das graue Zimmer ansprechend war oder nicht, ließ sie völlig kalt, und wenn sie doch in Os Bett schlief, so nicht, um dieses Zimmer zu meiden. Eher um O eine Dankbarkeit zu beweisen, die sie nicht empfand - die dafür O ihr entgegenbrachte - und aus der sie doch mit Freuden Kapital schlug, wie sie glaubte. Jacqueline liebte die Wollust und fand es angenehm und praktisch, sie von einer Frau zu empfangen, bei der sie nichts riskierte. Am fünften Tag nach ihrem Einzug, als René die beiden zum dritten Mal gegen zehn Uhr nach einem gemeinsamen Abendessen nach Hause gebracht hatte und wieder weggefahren war - denn wie die beiden ersten Male fuhr er wieder weg - erschien sie einfach, nackt und noch feucht von ihrem Bad, in der Tür zu Os Zimmer, sagte zu O: "Er kommt nicht zurück, sind Sie sicher?" und ohne die Antwort abzuwarten schlüpfte sie in das große Bett. Sie ließ sich mit geschlossenen Augen küssen und liebkosen, erwiderte keine einzige Liebkosung, stöhnte zuerst ein bißchen, dann stärker, dann noch stärker und schrie endlich laut. Sie schlief unter dem vollen Licht der rosà lampe ein, quer über dem Bett liegend mit gestreckten und gespreizten Knien, den Oberkörper leicht zur Seite gedreht, die Hände geöffnet. Man sah den Schweiß zwischen ihren Brüsten glänzen. O deckte sie zu, löschte die Lampe. Als sie sie zwei Stunden später im Dunkeln nahm, ließ Jacqueline es geschehen, murmelte nur: "Ermüde mich nicht zu sehr, ich muß morgen früh aufstehen."
Um diese Zeit nahm Jacqueline neben ihrer saisonbedingten Arbeit als Mannequin ein nicht minder unregelmäßiges, aber anspruchsvolleres Metier auf: sie bekam ein Engagement für kleine Filmrollen. Es war schwer zu sagen, ob sie stolz darauf war oder nicht, ob sie darin den Anfang einer Laufbahn sah, von der sie sich Ruhm erhoffte. Sie riß sich morgens mit mehr Wut als Schwung aus dem Bett, duschte und schminkte sich hastig, nahm nur die große Tasse Kaffee zu sich, die O ihr gerade noch bereiten konnte und ließ sich mechanisch lächelnd und wütend starrend die
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