Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
niedergeschlagen, aber etwa 500.000 chinesische Landwirte mussten umsiedeln, damit sich die Aufständischen bei diesen nicht länger mit Agrarerzeugnissen eindecken konnten. In Indochina (dem späteren Kambodscha, Laos und Vietnam) errichtete Frankreich die Kolonialherrschaft neu; später, zur Zeit des Waffenstillstands 1954, der Vietnam in einen nationalistisch-kommunistischen Norden und einen buddhistischen, von den USA abhängigen Süden mit katholischer Regierung spaltete, zogen 140.000 Zivilisten nach Nordvietnam (das damals 16 Millionen Einwohner hatte), während 860.000 nach Südvietnam (11,5 Millionen Einwohner) umsiedelten. Zwanzig weitere Kriegsjahre brachten weitere Millionen von Flüchtlingen hervor.
Niederländisch-Ostindien erklärte unmittelbar nach der Kapitulation Japans seine Unabhängigkeit. Statt die Japaner zu internieren, kämpften britische und niederländische Truppen gegen die indonesische Volksarmee. Von den 240.000 als «europäisch» bezeichneten Bewohnern waren über 80 Prozent niederländischer Abstammung (Zahlen von 1930). Dieses Etikett verschleierte die andere, asiatische Seite: 70 Prozent waren «Indos» (Indoeuropäer) von gemischter Abstammung. Vor der Unabhängigkeit im Jahr 1949 wanderten die Angehörigen der höchsten gesellschaftlichen Schichten aus; später entschieden sich etwa 15 Prozent der Indos für die indonesische Staatsbürgerschaft, während etwa 100.000 koloniale Hilfskräfte, mittlere Regierungsbeamte und Soldaten und ihre Familien in die Niederlande evakuiert wurden. Die meisten sahen das Land zum ersten Mal, einige sprachen kein Niederländisch und waren, wie die Ambonesen, nicht-weiß. 1957 wies Indonesien die restlichen niederländischen Staatsbürger aus und enteignete den landwirtschaftlichen Besitz von Niederländern.
Andere Unabhängigkeitskriege erzeugten vielfältige Flüchtlingsströme. Zuerst deportierten Kolonisatoren, die in die Defensive geraten waren, Bevölkerungen: In den 1950er Jahren siedelten die Briten eine halbe Million Chinesen in Malaya um, Zehntausende von Kikuyu aus Nairobi und die Kabaka aus Buganda, und die Franzosen entwurzelten algerische Kleinbauern. Zweitens, Unabhängigkeitskriege raubten den Bewohnern ganzer Regionen ihre Existenzgrundlage. Drittens, in vielen Gesellschaften wurden nach der Entlassung in die Unabhängigkeit Millionen von Menschen durch Kriege zwischen verfeindeten politischen Faktionen, etwa in Angola und Mosambik, oder durch bewaffnete Konflikte zwischen geteilten Gesellschaften wie in Vietnam und Korea vertrieben. Konflikte, die durch das Eingreifen der Supermächte USA und UdSSR oder vormaliger Kolonialmächte verschärft wurden, forderten die meisten Opferzahlen und erzeugten die größten Flüchtlingsströme.
Die Unabhängigkeit beendete sowohl die zeitweilige Entsendung von Administratoren und Soldaten in die kolonialen Ausbeutungsgebiete als auch die bevorzugte Stellung von Farmerfamilien in Siedlungskolonien. Viele emigrierten, einige in sofortiger Flucht, andere im Lauf der Zeit. Sie sahen ihre politische Macht zerfallen, ihre ökonomischen Kalküle nicht mehr aufgehen, ihre Lebensstile verschwinden und «ihre» subalternen einheimischen Arbeitskräfte zu Staatsbürgern aufsteigen. Die meisten waren «in der Fremde» geboren («Kreolen») und hatten ihre Ursprungsgesellschaft nie gesehen. Außerdem mussten koloniale Hilfskräfte fortziehen, unabhängig davon, ob sie im Inland rekrutiert worden waren, wie in Französisch-Algerien, ob sie über ein ganzes Kolonialreich verteilt waren, wie die Sikhs, oder als Minderheits- gegen Mehrheitsbevölkerungen ausgespielt wurden, wie bei den Hmong in Indochina. Ihre Rolle als «Hilfstruppen im Dienst der Kolonisatoren» machte sie zur Zielscheibe von Vergeltungsmaßnahmen gerade souverän gewordener Völker. Schließlich gerieten Männer, Frauen und Kinder von gemischter Abstammung sowie Eliten mit einer kulturellen Affinität zu einem ehemaligen kolonialen Zentrum in einer prekären Lage. Der Rückzug von Eliten, ob diese über Kapital, Fähigkeiten oder Wissen verfügten, konnte den neuen Ökonomien schweren Schaden zufügen. Nach der Unabhängigkeit betrieben viele der neuen nationalistischen Eliten angesichts multiethnischer Bevölkerungen eine Staatsbildung nach europäischem Vorbild, bei der eine kulturelle Gruppe als «Nation» eine Vormachtstellung erhielt. In den Metropolen schuf die Ankunft von 5,5 bis 8,5 Millionen italienischen, französischen,
Weitere Kostenlose Bücher