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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Stadtwanderung mit der Folge von Ausbeutung und Depravierung in einem Ausmaß, das an die europäische Frühindustrialisierung erinnert. Gegen Abstieg, Ausbeutung und Unsicherheit protestierten Arbeiter mit mahnend hochgehaltenen Mao-Bildern, während sich ihre kommunistische Regierung aus den Führungsetagen des nordamerikanischen Finanzkapitalismus beraten ließ und Auslandschinesen ihre Ressourcen, Netzwerke und ihren Patriotismus einbrachten. Es handelt sich immer noch um einen auf niedrigen Löhnen, harter Arbeiterausnutzung und Massenexport fußenden Industriekapitalismus, der in kurzerZeit zu großen wirtschaftlichen Erfolgen, immensem Reichtum in der Hand von wenigen und auch zu vielen Protesten geführt hat. Der Staatseinfluss auf diese Industrialisierung bleibt stark, doch nimmt er ein wenig ab. Die Löhne sind im internationalen Maßstab extrem niedrig, doch wachsen sie seit 2005 auch relativ. Insgesamt geht es den meisten Chinesen heute besser als vor dreißig Jahren. Die Repressivität des politischen Systems ist ausgeprägt, wird aber selektiv und in Bezug auf die Akteure des wirtschaftlichen Wachstums zurückhaltend ausgeübt. Insgesamt handelt es sich um ein Experiment, das ein weiteres Mal zeigt, unter welch unterschiedlichen politischen Verhältnissen Kapitalismus – jedenfalls auf Zeit – florieren kann, und wie kompatibel Markt und Staat selbst unter autoritären, ja diktatorischen Bedingungen sein können. In Russland hat der Übergang zum Kapitalismus in den 1990er Jahren zu staatlicher Selbstzurücknahme, aber auch zu ökonomischen Rückschritten, präzedenzloser Ungleichheit und großen sozialen Beschädigungen geführt, bevor seit etwa 2003 starke Tendenzen zur Wiederverstärkung des staatlichen Einflusses beobachtbar sind. Im Vergleich dazu befindet sich Indien seit gut zwei Jahrzehnten auf einem insgesamt eher wirtschaftsliberalen Kurs.[ 99 ]
    Die Durchsicht historischer Beispiele ergibt, systematisch gesprochen, drei Gründe, die erklären, warum staatliche Interventionen für die Entstehung, den Ausbau und das Überleben des Kapitalismus unabdingbar waren und sind – und im Zeitverlauf eher wichtiger werden. Zum
einen
setzen Märkte, die kapitalistisches Handeln allererst möglich machen, Rahmenbedingungen voraus, die nur mit politischen Mitteln hergestellt werden können: die Entfernung von fragmentierenden und bindenden, beispielsweise feudalen Hindernissen, die Gewährleistung eines Minimums an friedlicher Ordnung und die Bereitstellung von Regeln zum Abschluss und zur Durchsetzung von Verträgen oder vertragsähnlichen Vereinbarungen. Ohne den Einsatz von Macht ging es dabei nicht ab, oft ergaben sich die Voraussetzungen für die Ausbildung raumübergreifender Märkte aus der Anwendung von Gewalt, beispielsweise im Krieg oder im Zuge der Kolonialisierung.
    Zweitens
ist eine wachsende Instabilität der kapitalistischen Prozesse zu beobachten, insoweit sich diese über die Jahrzehnte aus den sie einengenden, aber auch stabilisierenden Einbettungen gelöst und überdies in sich selbst ausdifferenziert haben. Oben wurde dies an den Übergängen vom Eigentümer- zum Managerkapitalismus und dann hin zur Phase der Finanzialisierung gezeigt, in der sich die Investitionsfunktion so stark aus der Verbindung zu anderen Funktionen (etwa zur Unternehmensleitung oder zur Personalpolitik) gelöst und damit verselbständigt hat, dass sie sich selbst-zerstörerisch überschlägt, wenn sie nicht durch neue Einbettungen wieder eingefangen wird. Unter diesen aber spielen staatliche Vorgaben und Kontrollen nicht die einzige, jedoch die wichtigste Rolle. (Dies stellt sich allerdings in vielen Ländern außerhalb des nordatlantischen Bereichs ganz anders dar, wo die weite Verbreitung von Klientelismus, Patronage und Korruption – also «Einbettungen» besonderer Art – zu Systemeigenarten führt, die mit den Stichworten «patrimonialer Kapitalismus» und «crony capitalism» bezeichnet und kritisiert werden.)[ 100 ]
    Drittens
entwickelt der Kapitalismus gerade auf fortgeschrittenen Stufen seiner Entwicklung Wirkungen, die sich störend bis zerstörerisch auf seine soziale, kulturelle und politische Umwelt auswirken und seine gesellschaftliche Akzeptanz in Frage stellen können. Hierbei ist beispielsweise an die sich mit gewisser Notwendigkeit wiederholenden

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