Geschichte des Kapitalismus
an. Die Finanzmarktkrise des Kapitalismus wurde in eine Verschuldungskrise der Staaten umgewandelt, mit noch nicht absehbaren schädlichen Folgen besonders in Europa. Die Selbstentzauberung des neoliberalen Mythos von der Selbstheilungsskraft der Märkte hätte nicht gründlicher sein können. Doch die Konsequenzen sind keineswegs klar. Gewisse Tendenzen zur Re-Regulierung des Finanzsektors sind zwar in den einzelnen Ländern wie auch international auf dem Weg. Doch derEinfluss der dadurch betroffenen Interessen ist groà und erschwert manche denkbare Lösung. AuÃerdem: Die Materie ist kompliziert, und der richtige Weg zwischen Deregulierung und Ãber-Regulierung nicht leicht zu bestimmen. Vor allem aber fehlt es an hinreichend starken politischen Entscheidungs- und Handlungssystemen auf über-nationalstaatlicher Ebene, die jedoch nötig wären, um den global tätigen Finanzkapitalismus zu bändigen.
Im Ãbrigen variierte und variiert das Verhältnis von Markt und Staat von Land zu Land sehr. Zwar entwickelte sich auch in den USA im 20. Jahrhundert ein Koordinierter Kapitalismus mit starker staatlicher Intervention, doch zeigte sich diese hier eher als Wettbewerb sichernde Regulierung (Anti-Trust-Politik), auch in Form des privatwirtschaftlich-staatlichen militärisch-industriellen Komplexes oder durch staatlich erleichterte Kreditfinanzierung des Massenkonsums, weniger dagegen in der staatlichen Bereitstellung von Wohlfahrtsleistungen oder staatlichen Eingriffen in die internen Verhältnisse der Unternehmen. Dagegen bewies Schweden, dass ein sehr wettbewerbsfähiger Kapitalismus mit einer staatlich regulierten Kooperation der Klassen, kollektiv-solidarischen Orientierungen und hohen sozialstaatlichen Leistungen vereinbar ist. Wenngleich auch in Schweden die «neoliberale» Wende seit den 1980er Jahren auf eine gewisse Verschlankung des Sozialstaats hinauslief, kam es dort doch bei weitem nicht zu einer so tief greifenden Kürzung der Sozialleistungen wie etwa gleichzeitig in England. In Deutschland, das als Mutterland des Organisierten Kapitalismus im späten 19. und 20. Jahrhundert gelten kann, entwickelte sich seit den 1950er Jahren die Spielart des «Rheinischen Kapitalismus» mit viel auch staatlich gestützter Koordination und ausgeprägter Sozialstaatlichkeit («Soziale Marktwirtschaft»), aber doch mit viel weniger direkten wirtschaftspolitischen Interventionen als gleichzeitig in Schweden oder Frankreich und mit gröÃerem Respekt vor der Selbstregulierungsfähigkeit der Zivilgesellschaft als beispielsweise in Japan. Dort hatte die Industrialisierung erst im späten 19. Jahrhundert begonnen, und zwar von Anfang an sehr stark unter staatlicher Regie, wobeidie staatlichen Planungs- und Lenkungsbehörden eng mit den dortigen privatwirtschaftlichen Riesenunternehmen besonderer Art, den
zaibatsu,
kooperierten, die Technik-, Industrie- und Exportentwicklung kräftig anschoben, gleichzeitig aber in diesem Land der schwachen Gewerkschaften und sich um alles kümmernden Unternehmen auf den Ausbau eines umfassenden Sozialstaats weitgehend verzichteten.
Ãber dezidierte Exportförderung, entschiedene Investitionen in den Ausbildungsbereich und hohe gesamtwirtschaftliche Sparraten industrialisierten Hongkong und Taiwan seit den 1950er, Singapur und Südkorea seit den 1960er Jahren. Sie schlugen eindeutig privatkapitalistisch-marktwirtschaftliche Wege ein, aber durchweg mit intensiver staatlicher Förderung und Lenkung, wobei sich die autoritäre Regierungsstruktur Singapurs und am Anfang auch Südkoreas keinesfalls als hinderlich, eher als industrialisierungsförderlich erwies. Die Modernisierung Chinas in nach-maoistischer Zeit fuÃte einerseits auf der marktwirtschaftlichen Energie breiter Bevölkerungsschichten, die nun nicht mehr eingeschnürt wurde, zuerst vor allem auf dem Lande. Andererseits fand so etwas wie eine «Revolution von oben» statt. Die rasch an Fahrt gewinnende kapitalistische Dynamik wurde von Parteikadern und Staatsfunktionären angestoÃen und angeleitet, die aber auf begrenzte Freisetzung unternehmerischer Tätigkeit und eine gewisse staatliche Selbstbeschränkung zielten. Dazu gehörte die Privatisierung von Staatsunternehmen, das Abschmelzen des maoistischen Sozialstaats und der von ihm gewährten Sicherheiten wie auch die Entfesselung einer massiven Land â
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