Geschichte des Kapitalismus
dass gegenwärtig eine vierte beginnt. Auf die enge Verquickung von Markt und Staat in der Frühen Neuzeit, gegen die Adam Smith Sturm gelaufen war, folgte seit dem 18. Jahrhundert in England und seit den im Ergebnis liberalisierenden Umbrüchen der Revolutions- und Reformzeitauf dem Kontinent um die Wende zum 19. Jahrhundert eine Phase relativer Trennung von Markt und Staat. Die Staaten hielten sich mit wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionen bis in die 1870er/80er Jahre zurück, während sie die sich selbst vorantreibende Dynamik der Marktwirtschaften einerseits förderten und andererseits sich selbst überlieÃen. Zwar ist es völlig falsch, von schwachen «Nachtwächterstaaten» zu sprechen, tatsächlich gewannen die sich teils erst etablierenden, teils kraftvoll entfaltenden Nationalstaaten in jenen Jahrzehnten erheblich an äuÃerer und innerer Gestaltungsmacht dazu. Die staatlichen Beiträge zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung waren erheblich, man denke an den Ausbau der Infrastruktur und des Bildungswesens, beides überlieà man nicht dem freien Spiel der Marktkräfte. Doch zum kaum gesteuerten Wettbewerb zwischen den meist kleinen Unternehmen und zur noch sehr geringen Organisiertheit der Arbeiterschaft passte eine Politik der wirtschaftsliberalen Deregulierung im Zeichen des Freihandels. Obwohl es zu ersten «Fabrikgesetzen» (so in England 1833) kam, blieben die staatliche Wohlfahrtsunterstützung minimal und der liberale Glaube an die für alle nützliche Freiheit des Einzelnen stark.
Die 1870/80er Jahre brachten einen Trendwechsel, der einerseits eine Reaktion auf die tiefe internationale Krise des Kapitalismus in den 1870er Jahren, andererseits eine Antwort auf die zunehmenden sozialen Spannungen und besonders den Aufstieg der organisierten Arbeiterbewegungen war und überdies zu den Konzentrations-, Zusammenschluss- und Durchorganisationstendenzen im aufsteigenden Manager-Kapitalismus passte, der zunehmend den alten Eigentümer-Kapitalismus ergänzte. Wie sich an wieder zunehmenden wirtschaftspolitischen Interventionen (z.B. Verstaatlichung), zunehmenden Staatsquoten, aber auch in auÃenwirtschaftlichen Initiativen bei der Durchsetzung des Imperialismus (Zollpolitik, Subventionen, Errichtung von Einflusszonen und Kolonien auch zu ökonomischen Zwecken) und vor allem im beginnenden Aufstieg des Sozialstaats seit den 1880er Jahren zeigte, griffen staatliche Instanzen nun wieder verstärkt in Wirtschaft und Gesellschaft ein, wie umgekehrtwirtschaftliche und soziale Interessen, zunehmend organisiert, über ihre Verbände und Vertretungen auf die Politik Einfluss nahmen. An die Stelle der wirtschaftsliberalen relativen Distanz von Markt und Staat in der vorangehenden Phase traten jetzt Jahrzehnte zunehmend verdichteter Interdependenz von Markt und Staat im Zeichen des Prinzips der «Organisation». Man spricht vom «Organisierten» oder auch vom «Koordinierten» bzw. vom «Gesteuerten Kapitalismus», dessen Grundlagen bereits in den Jahrzehnten vor 1914 gelegt wurden, auch im Hinblick auf die enge Verquickung von wirtschaftlicher Expansions- und politischer Machterweiterungspolitik im Epochenphänomen des Imperialismus, dessen spannungsreicher Aufstieg seit den 1890er Jahren zum Ersten und Zweiten Weltkrieg entscheidend beitrug. Die Kriege trieben die nicht-marktwirtschaftliche Durchorganisation des Kapitalismus in allen kriegführenden Staaten sprungartig, wenn auch teilweise vorübergehend, weiter voran. Der Protektionismus der Zwischenkriegszeit vergröÃerte noch einmal die Distanz zur klassisch-liberalen Freihandelsära. Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre verstärkte erneut die Neigung der Staaten zur Intervention in Wirtschaft und Politik, in scharf undemokratischer Weise in den Diktaturen Europas und Japans, in demokratisch-sozialstaatlicher Form im amerikanischen New Deal, der seit den dreiÃiger Jahren die Grundlagen eines Sozialstaats auch in den USA hervorbrachte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwar die kriegswirtschaftlichen ZwangsmaÃnahmen abgeschafft und protektionistische Verkrustungen schrittweise zurückgebaut, aber in anderen Hinsichten â Ausbau des Sozialstaats und der Arbeitsgesetzgebung, Zusammenarbeit von organisierten Interessen und Staat, staatliche Wirtschaftspolitik zunehmend mit Keynesianischen Ansprüchen, starker Anteil verstaatlichter
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