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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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den Dritten Stand von einer Dritten Welt die Rede war – von
tiers état
zu
tiers monde

    Als dramatisierende Metapher steht der Begriff «Weltbürgerkrieg» für den ideologischen Grundkonflikt, der das 20. Jahrhundert bis zum Ende der kommunistischen Regime in Europa zwischen 1989 und 1991 prägen sollte. Begonnen hatte dieser Konflikt mit der russischen Oktoberrevolution von 1917. Wenn er in der Zwischenkriegszeit noch nicht voll durchbrach, dann aus drei Gründen. Erstens sah sich die Sowjetunion infolge vieler Rückschläge beim Versuch des Revolutionsexports gezwungen, die «Weltrevolution» zu vertagen und sich entsprechend Stalins Devise auf den «Aufbau des Sozialismus in
einem
Lande» zu konzentrieren. Zweitens wurde der demokratische Messianismus der USA durch den amerikanischen Isolationismus durchkreuzt,der ein anhaltendes transatlantisches oder gar globales Engagement der potentiellen westlichen Führungsmacht verhinderte. Drittens trat mit den Faschismen und namentlich mit dem deutschen Nationalsozialismus nach dessen «Machtergreifung» eine «dritte Kraft» auf, die eine ideologische West-Ost-Konfrontation im Zeichen von «Freiheit» versus «Gleichheit» oder «Demokratie» versus «Diktatur» unmöglich machte.
    Der Sieg der Anti-Hitler-Koalition vereinfachte die Weltsituation radikal. Es gab nur noch zwei Weltmächte, die USA und die Sowjetunion, wobei die Vereinigten Staaten schon auf Grund ihres überlegenen technologischen «Know how» und ihres Atomwaffenmonopols die mit Abstand stärkere war. Von den anderen Großmächten (sofern dieser Status durch einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen definiert war) wurde China durch den inneren Machtkampf zwischen der Kuomintang und den Kommunisten gelähmt; Großbritannien und Frankreich, die beiden größten europäischen Kolonialmächte, waren durch den Krieg so geschwächt, daß fraglich war, ob sie sich davon noch einmal erholen würden.
    Das Vereinigte Königreich war inzwischen materiell so stark von den USA, seiner einstigen Kolonie, abhängig, daß man mit Diner von der Übertragung des «imperialen Staffelstabes» von Großbritannien auf die Vereinigten Staaten, von einer «
translatio imperii
der neuesten Zeit» sprechen kann. Was künftig aus den ehemaligen Großmächten Deutschland und Japan werden würde, war einstweilen offen. Das Zeitalter der klassischen, souveränen Nationalstaaten neigte sich, zumindest in Europa, dem Ende zu: eine Einsicht, die freilich noch Zeit benötigte, um sich durchzusetzen. Das Schicksal des alten Kontinents lag nicht mehr in seinen eigenen Händen, sondern in denen der beiden Weltmächte, die den Zweiten Weltkrieg für sich entschieden hatten.
    1945 markierte das Ende
eines
Typs von totalitärer Diktatur, des faschistischen, aber noch nicht das Ende totalitärer Herrschaft schlechthin. Die deutsche Kapitulation zog einen Schlußstrich nicht nur unter die zwölfjährige Geschichte des «Dritten Reiches», sondern auch unter das knappe Dreivierteljahrhundert, in dem es ein Deutsches Reich gegeben hatte. 1945 endete die deutsche Auflehnung gegen das normative Projekt des Westens, die lange vor 1933 begonnen hatte. Mit dem von ihm entfesselten Zweiten Weltkrieg zerstörte Deutschland die Grundlagen dessen, was der Erste Weltkrieg von der europäischenWeltgeltung noch übrig gelassen hatte. Der Holocaust führte der ganzen Welt vor Augen, was ideologische Verblendung im Bunde mit moderner Technik vermochte, wenn ein Staat sich erst einmal, so wie Deutschland im Jahr 1933, von der Herrschaft des Rechts verabschiedet hatte. Wenn die Ermordung der europäischen Juden im kollektiven Gedächtnis des Westens stärker nachwirkt als die millionenfachen Massenmorde des Stalinismus, dann nicht nur, weil die Shoah in ihrer kalten Systematik einzigartig war, sondern auch aus einem anderen Grund: Dieses Menschheitsverbrechen wurde von einer Nation begangen, die kulturell zum Westen gehörte und darum an westlichen Maßstäben gemessen wurde – und gemessen wird. Ebendies war der Kern der «deutschen Katastrophe», von der der Historiker Friedrich Meinecke 1946 im Titel eines damals vielgelesenen Buches sprach.
    In Europa überlebten die westlichen Werte den Zweiten Weltkrieg nur, weil der neue Westen in Gestalt Amerikas und der britischen Dominions den freiheitlichen Kräften des alten Kontinents zu Hilfe gekommen war. Die Sache der Freiheit aber war nach wie vor bedroht. Vom Zusammenhalt des

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