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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Nationalsozialismus sehr viel konsequenter und erfolgreicher als der italienische Faschismus, der bis zuletzt gezwungen war, sich mit der Monarchie und dem Militär zu arrangieren. Der Nationalsozialismus war, ungeachtet ständiger interner Machtkämpfe im Umfeld des «Führers», sehr viel totalitärer und einem absoluten Machtmonopol näher als der italienische Faschismus. Von diesem unterschied den Nationalsozialismus auch der fanatische Antisemitismus, der zum innersten Wesenskern der Bewegung Adolf Hitlers gehörte. Erst Ende 1938 ging das Regime Mussolinis zu einer antijüdischen Politik über, die sich am Vorbild der Nürnberger Gesetze von 1935 orientierte, aber nicht mit derselben bürokratischen Systematik exekutiert wurde wie diese. Rassistisch war freilich auch der italienische Faschismus, wie sich in seinen Kolonialkriegen erst in Libyen und später in Äthiopien zeigte. In Afrika bewies der «Duce», zu welcher nach außen gerichteten Aggressivität sein Regime fähig war. Auf einen Krieg gegen die Sowjetunion aber hat er, seinem immer wieder bekundeten Antibolschewismus zum Trotz, schon aus Einsicht in die begrenzten materiellen Ressourcen Italiens zu keiner Zeit hingearbeitet. Wenn er 1941 an dem vom nationalsozialistischen Deutschland eröffneten Feldzug im Osten, einem spätkolonialen Lebensraum- und zugleich ideologischen Vernichtungskrieg, teilnahm, so nur deswegen, weil das faschistische Italien bei der erwarteten Neuordnung der Welt nicht leer ausgehen sollte.
    Die Gemeinsamkeiten zwischen dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus waren so offenkundig, daß schon Zeitgenossen beide unter dem typisierenden Oberbegriff «Faschismus» zusammenfaßten. Der Nationalsozialismus
war
einerseits die deutsche Erscheinungsform des Faschismus, wich aber andererseits in zentralenPunkten vom italienischen Vorbild so stark ab, daß es sich verbietet, in ihm
nur
den «deutschen Faschismus» zu sehen. Faschistische Bewegungen gab es im Europa der Zwischenkriegszeit viele, darunter die spanische Falange, die kroatische Ustascha, die rumänische Eiserne Garde und die ungarischen Pfeilkreuzler. Aber nur in Italien und Deutschland gelangten faschistische Parteien ohne Einwirkung von außen an die Macht, und nur in diesen beiden Ländern entstanden autonome faschistische Regime.
    Versuche, die europäischen Faschismen übernational zu organisieren, waren zum Scheitern verurteilt. Ihr exklusiver Nationalismus machte es den faschistischen Regimen unmöglich, jenseits ihrer Staatsgrenzen ein der Kommunistischen Internationale vergleichbares Maß an internationaler Solidarisierung zu erzeugen. Im Zeichen von Antisemitismus und Antibolschewismus konnte das «Dritte Reich» im Zweiten Weltkrieg in den besetzten Ländern zwar einzelne Intellektuelle, Politiker, Parteien und Gruppierungen zur Kollaboration bewegen, aber keine Massen mobilisieren. Ein faschistischer oder nationalsozialistischer Internationalismus war ein Widerspruch in sich.
    Die extremsten Widersacher der äußersten Rechten, die russischen Bolschewiki, hatten sich seit jeher als Vorkämpfer einer neuen, klassenlosen Gesellschaft verstanden und dementsprechend nach ihrer Machtergreifung sogleich damit begonnen, die bisher herrschenden Klassen auszuschalten und zu großen Teilen auszurotten. Die italienischen Faschisten und die deutschen Nationalsozialisten wollten die ökonomischen, militärischen, bürokratischen und intellektuellen Eliten nicht vernichten, sondern sich dienstbar machen, was ihnen in unterschiedlichem Maß auch gelang. Für Stalin war es ein zentrales Herrschaftsmotiv, die Rückständigkeit Rußlands ein für allemal zu beseitigen, und er kam diesem Ziel mit brutalen Mitteln näher als irgendein Politiker vor ihm. Von einer Modernisierung der italienischen Gesellschaft durch den Faschismus kann man hingegen nur mit erheblichen Vorbehalten sprechen – mit dem größten Recht wohl im Hinblick auf den Kampf gegen den Analphabetismus, aber auch hier setzte das Italien Mussolinis letztlich nur die in der Ära Giolitti eingeschlagene Politik fort. Im nationalsozialistischen Deutschland schritt die Industrialisierung, aller agrarromantischen Parteiideologie zum Trotz, voran – aber nicht, weil Hitler Deutschland modernisieren wollte, sondern weil er ohne forcierten Ausbau der rüstungswichtigen Industriekeinen Krieg führen konnte. Das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien waren keine

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