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Geschichte Irlands

Geschichte Irlands

Titel: Geschichte Irlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Stuchtey
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tragenden Säulen der nordirischen Wirtschaft, zwischen 1923 und 1930 in eine große Absatzkrise gerieten, erreichte die Arbeitslosigkeit 19 % der Industriearbeiter, im Durchschnitt aller Berufszweige sogar 25 %. Mit der wachsenden Feindschaft zwischen dem Freistaat, der die Ansprüche auf Wiedervereinigung nicht aufgab, und dem unionistischen Norden, der seiner katholischen Minderheit nicht traute, schränkte sich auch der britische Handlungsspielraumein. Wirtschaftlich wurde Ulster für die Briten erst wieder mit dem Flugzeugbau attraktiv. Strategisch wurde es ab 1942 für Tausende amerikanischer Truppen ein unentbehrlicher Stützpunkt. Jedes zehnte britische Schiff wurde in Belfast produziert, darunter 140 Kriegsschiffe. Ironischerweise brachte so erst der Zweite Weltkrieg – Belfast wurde im April und Mai 1941 von deutschen Bombern stark zerstört – eine Besserung für die nordirische Wirtschaft. Das reale Einkommen pro Kopf stieg bis 1947 um 84 % an, das war das Sechsfache des Wachstums im Süden der Insel. Als Haupterwerbszweige entwickelten sich die produzierende Industrie, vor allem die Elektroindustrie und Elektronik mit über 30 % aller Erwerbstätigen sowie die Kleidungsindustrie und die Herstellung von Nahrungsmitteln.
    Nach dem Krieg machte sich Nordirland an die gleichen wohlfahrtsstaatlichen Reformen, mit der die Labour-Politik 1948 auch England ein neues Profil gab. Das Bildungswesen wurde reformiert und ein Gesundheitssystem unter dem Titel «National Health Service» eingeführt, das die kostenlose medizinische Grundversorgung garantierte. Beides sollte das Gefühl einer nationalen Solidarität stärken. Selbstverständlich war das für die konservativen Unionisten zunächst keineswegs, da sie, den britischen Konservativen vergleichbar, Staat und Gesellschaft scharf voneinander getrennt halten wollten. Dass sie schließlich doch die Renten- und Arbeitslosenversicherung, Kindergeld und Pensionen einführten, band den nordirischen Wohlfahrtsstaat fest an den britischen und trennte ihn umso deutlicher vom Irischen Freistaat. Im Süden war in der Mitte des Jahrhunderts ein vergleichbares Sozialsystem weder angedacht noch finanzierbar; erst 1973 wurde in der Republik eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt.
    Während der 20 Jahre, die Basil Brooke Ulster als Premierminister regierte (1943–1963), kamen, von niedrigen Gewerbesteuern und billiger Arbeitskraft angezogen, zahlreiche ausländische Investoren ins Land, vornehmlich aus den USA, aus Großbritannien, West-Deutschland und den Niederlanden. Sie schufen Arbeitsplätze und Kapital, konzentrierten sich aber auf das Ballungsgebiet von Belfast. Doch Brooke, einst Kommandeureiner unionistischen Einheit im Kampf gegen die IRA und Besitzer riesiger Landgüter in Colebrook, trug auch viel zur weiteren Entfremdung der Konfessionen bei. Er rief die protestantischen Gutsbesitzer auf, alle katholischen Arbeiter zu entlassen, und ging selbst mit schlechtem Beispiel voran.
    Ãœberdies ließ er sich vom britischen Premierminister Attlee zusichern, dass dieser ohne Zustimmung Ulsters nichts am konstitutionellen Status der Union verändern werde. Man untermauerte diese Garantie per Gesetz (Ireland Act von 1949) und betrachtete sie als unverbrüchliches Versprechen, das von den Nordiren bis heute als legendäres «The Pledge» bezeichnet wird. Während sich der Orange Order mit der Regierung assoziierte, mussten Katholiken, Gewerkschaften und sogar liberale Aussöhnungsversuche wie die von Brookes Nachfolger Terence O’Neill als Feindbilder herhalten. Nach Schätzungen waren 95 % der Unionisten protestantisch und 99 % der Nationalisten katholisch.
    Die besondere Beziehung Ulsters zu Großbritannien entwickelte ihre komplizierte Eigendynamik in der Epoche der globalen Dekolonisation. Kaum eine Unabhängigkeitsbewegung war für das Empire so einschneidend wie die Indiens, die 1947 in der Wahl Jawaharlal Nehrus zum indischen und Ali Jinnahs zum pakistanischen Premier gipfelte. Die Teilung des Subkontinents in einen Staat der Hindus und einen Staat der Moslems war zunächst ebenso wenig als Dauerlösung anvisiert worden wie die Teilung Irlands. Doch das feindselige Verhältnis zwischen beiden Teilen – ob im Herzen Asiens oder im Nordwesten Europas – beeinflusste in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Weltpolitik.

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