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Geschichte Irlands

Geschichte Irlands

Titel: Geschichte Irlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Stuchtey
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kam es einem Verrat an Ulster gleich. Unter den Ersteren bildeten sich diverse katholische Bürgerrechtsbewegungen, die nach amerikanischem Vorbild den Druck der Straße als Mittel des politischen Engagements einzusetzen suchten.
    Nun begannen in Nordirland die Protestmärsche, auf die regelmäßig Gegendemonstrationen folgten. Schon ein Zug katholischer Demonstranten durch vorwiegend von Protestanten bewohnteStadtteile oder der umgekehrte Fall wurden als Provokation empfunden. Die überforderte Polizei schritt unverhältnismäßig brutal ein. So ging das Vertrauen in das Funktionieren der staatlichen Sicherheitsorgane verloren. Bogside, ein ausschließlich von Katholiken bewohnter Stadtteil in Londonderry, und Shankill Road, das Zentrum des protestantischen Arbeiterviertels von Belfast, wurden zu Festungen. Die Benachteiligung der nordirischen Katholiken, die sich in der Aufteilung der Wahlkreise, der Zuteilung von sozialem Wohnraum und auf dem Arbeitsmarkt zeigte, teilte manche Gemeinsamkeiten mit der Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung in den USA in den 1950er und 1960er Jahren. Martin Luther Kings Bürgerrechtsbewegung inspirierte deshalb auch viele Iren, aber sein Aufruf zum gewaltlosen zivilen Ungehorsam verhallte nicht nur in Amerika.
    Denn ab 1969, dem Jahr nach dem Attentat auf King, verschlechterte sich das politische Klima zusehends auch in Nordirland. Anfang 1970 spaltete sich die IRA in die «Provisionals», die auf Gewalt und terroristische Aktionen setzten, und die «Officials», Anhänger einer sozialistischen Politik. Parallel dazu entstanden Bruchlinien in der Partei Sinn Féin. Im täglichen Kampf gegen die Polizei (Royal Ulster Constabulary) wuchs die Sympathie der katholischen Bevölkerung für die «Provisionals». Die Provisional IRA hatte sich dem Ziel verschrieben, Irland mit militärischen Mitteln zu vereinigen. Die Gewalt auf der Straße und durch Autobomben, die sich bald zu einem dichten Netzwerk republikanischen Terrorismus entwickelte, wurde nicht nur zu einem Problem Nordirlands, sondern erreichte auch London, britische Kasernen sowie Pubs in Guildford und Birmingham.
    Angesichts der Hilflosigkeit und Parteilichkeit der nordirischen Polizei, die sich im August 1969 in der «Battle of the Bogside» offenbarte, schickte die britische Regierung Einheiten der Armee. Diese trennten die feindlichen Parteien, errichteten Stacheldrähte oder Mauern in den besonders brisanten Straßenzügen, ließen jedoch auch zu, dass sogenannte No-go-Areas entstanden: Stadtbezirke im Kriegszustand. An einem der Höhepunktedes gesamten Nordirlandkonflikts, dem 30. Januar 1972, tötete ein britisches Fallschirmregiment 13 unbewaffnete Demonstranten. Dieser als «Bloody Sunday» in die nordirische Geschichte eingegangene Tag hatte ein stärkeres Engagement der britischen Regierung in Ulster bis hin zur Direktverwaltung der Provinz (Direct Rule) und die Gründung paramilitärischer protestantischer Organisationen wie der Ulster Defence Association und der Ulster Volunteer Force zur Folge. Eine weitere Konsequenz war, dass sich die katholische Jugend militarisierte und mit der IRA einließ. So wenig die Polizei Katholiken und Protestanten voreinander schützen konnte, so wenig übte die nordirische Selbstverwaltung politische Kontrolle über das Pulverfass aus. 1983 sollte die Popgruppe U2, neben Bob Geldof und Chris de Burgh ein wichtiger Exporteur irischer Kultur, in ihrem Song
Sunday Bloody Sunday
die Ereignisse zum Thema machen. Ein Untersuchungsausschuss zum Bloody Sunday, der zwölf Jahre lang arbeitete und 200 Millionen Pfund kostete, kam im Juni 2010 im Saville Report zu dem Ergebnis eines seinerzeit fehlerhaften Verhaltens der britischen Soldaten. Dafür entschuldigte sich Premierminister David Cameron im selben Monat im britischen Unterhaus.
    Die Briten, viel zu lange in diesem Konflikt passiv geblieben, entschieden sich 1972 für die direkte Herrschaft über Ulster. Premierminister Edward Heath ernannte einen Nordirlandminister und entmachtete das Belfaster Parlament: für die Nationalisten ein kurzfristiger Triumph, für die Loyalisten eine schmachvolle Niederlage. Nordirland geriet nun in eine neue Spirale von Gewalt und repressiver Gegengewalt, der Ausnahmezustand wurde alltägliche Normalität. Die sektiererischen Gewalttätigkeiten nahmen zwischen 1972 und 1976 mit über

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