Geschichte Irlands
Ihre Wiedervereinigung wurde ebenso zur Utopie wie die von Gandhi propagierte Gewaltlosigkeit. In Ulster wurde der Dauerkonflikt auch «Troubles» genannt, er entsprach einem permanenten Ausnahmezustand. Man baute auf die feste Solidarität der Briten, zumal viele andere Dekolonisationsprozesse, etwa die Lösung Algeriens von Frankreich oder des Kongo von Belgien, der Weltgemeinschaft beispielhaft vor Augen führten, welches unermessliche Konfliktpotential die Trennung zwischen Kolonie und ehemaliger Kolonialmacht besaÃ.
Für Ulster kam seit 1923 eine derartige Trennung nicht mehr in Frage. Im Gegenteil, die Menschen richteten sich wie in einer Festungsanlage in einem politisch und gesellschaftlich defensiven Zustand ein. Dieser reduzierte jeglichen sozialen Konflikt, ob im Arbeitsleben, im Wohnungssektor oder im Schulwesen, auf die grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen Protestanten und Katholiken und verhinderte eine Verständigung zwischen den beiden Konfessionen. Die Protestanten, in religiöser und sozialer Hinsicht ansonsten keineswegs kohärent, schweiÃte die Wagenburg in einer Allianz zusammen. Die Teilung der Nation, Schlüsselbegriff dieses Kapitels, hatte eine in jeder Hinsicht blockierende Wirkung und wurde darin konstitutiv für die irische Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Wie konnte diese Blockade überwunden werden? Die Frage hatte zunächst keine Priorität. Katholische Nationalisten in Ulster lehnten es ab, nach Wahlen ihre wenigen Parlamentssitze einzunehmen, und katholische Beamte, ob im Polizei- oder im Schuldienst, wurden zu einer verschwindenden Minderheit. Am Aufbau Ulsters waren sie nicht beteiligt, was sowohl an der unionistischen Privilegienwirtschaft als auch an der katholisch-nationalistischen Selbstisolierung lag sowie an der Weigerung der Nationalisten, die Legitimität Nordirlands überhaupt anzuerkennen. Auf katholischer Seite ging man keineswegs von einer permanenten Teilung aus.
Einen notorischen Fall bildete Londonderry. Hier lebten fast doppelt so viele katholische wie protestantische Wähler, aber trotzdem blieb der Stadtrat ohne Unterbrechung stets in den Händen der Unionisten. Hätten die Katholiken die Gelegenheit wahrgenommen, eine einheitliche und einflussreiche Opposition zu formen, und hätten die Protestanten eine Politik der Gegenseitigkeit anstelle der institutionalisierten Diskriminierung erlaubt, wäre dieser bleierne Zustand vermieden worden. Er hatte eine bemerkenswerte Kontinuität in der politischen Führung, aber auch eine ideologische Konformität zur Konsequenz. Schon am Eigennamen lieà sich oftmals die Konfession ablesen. Weil Sicherheit groÃgeschrieben wurde, konnte bereits ein katholischer Schulbusfahrer als Risiko erscheinen.
Im Belfaster Parlament mit seinen 52 Abgeordneten wurden die inneren Angelegenheiten Nordirlands debattiert, während auÃen-, finanz- und verteidigungspolitische Belange weiterhin von Westminster aus geregelt wurden. Bis 1948 besaà Nordirland 13 Sitze im britischen Parlament, nach der Abschaffung der parlamentarischen Vertretung der Belfaster Queenâs University nur noch zwölf. Zwischen 1922 und 1966 saÃen insgesamt 62 Personen als nordirische Abgeordnete in Westminster, davon waren 56 Unionisten, die überwiegend aus dem Bankwesen und dem Geschäftsleben kamen.
Der Nordirlandkonflikt und die Folgen
Bis der Nordirlandkonflikt in den Jahren um 1970 eskalierte, bauten sich auf unionistischer und nationalistischer Seite kaum noch kontrollierbare Spannungen auf. Terence OâNeill versuchte, Ulster im internationalen Wettbewerb gegen die deutsche und japanische Konkurrenz im Schiffbau und in der Textilherstellung zu stärken, gesellschaftliche und (land-)wirtschaftliche Strukturen zu modernisieren und die Konfliktparteien davon zu überzeugen, dass nur ein befriedetes Ulster mit normalisierten Beziehungen zur Republik im Interesse aller Iren sein konnte. Er plante, Wachstumszonen zu schaffen, internationale Unternehmen durch Steuerbefreiungen anzulocken, in Coleraine eine zweite nordirische Universität zu gründen, die Schulen, die Vergabe von Sozialwohnungen und den Arbeitsmarkt von den konfessionellen Fesseln zu lösen sowie schlieÃlich den Dialog mit dem Taoiseach der Republik, Sean Lemass, zu suchen. Doch diese Pläne wurden von allen Seiten angefeindet. Den einen war OâNeills Programm zu protestantisch, den anderen
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