Geschichte Irlands
aufzurufen. Im selben Jahr (1966), in dem die Statue von Lord Nelson auf der Dubliner OâConnell Street gesprengt wurde, würdigte er die irischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg für das Britische Empire gekämpft und die bis dahin als Verräter gegolten hatten. Mit der politischen und gesellschaftlichen Liberalisierung ging eine kirchliche einher. 1970 hob die Bischofskonferenz ihr Verbot für Katholiken auf, am Trinity College in Dublin zu studieren. Ohnehin verlor der Katholizismus schrittweise seine geistige Leitfunktion, ganz zu schweigen von seiner theologischen,was an der stark zurückgehenden Zahl von Priesterweihen erkennbar wurde. Seine soziale Führungsrolle behielt er so lange, wie der sonntägliche Gottesdienst besucht wurde. Anfang der 1970er Jahre taten dies noch 95 % der Katholiken. Erst die Debatte über den Schwangerschaftsabbruch, in der die Kirche eine der letzten Bastionen ihrer moralischen Deutungshoheit verteidigte, wurde zu einem Prüfstein für ihre soziale Relevanz â und für den Pluralismus der irischen Gesellschaft.
In vielerlei Hinsicht blieb Irland jedoch bis mindestens zur Jahrhundertmitte provinziell, was auch für die Literatur galt. Im kontinentalen Europa, in GroÃbritannien und in den USA hatten seit der Jahrhundertwende Modernismus und Expressionismus, Surrealismus und Dadaismus geblüht. Irland stand dagegen längst nicht mehr so international da wie noch um 1900, in der Epoche von Oscar Wilde. Fianna Fáil hatte sich als führende politische Partei das Ziel gesetzt, die Anglisierung der Insel so weit wie möglich zurückzudrängen, die gälische Sprache in den Grundschulen zum Pflichtfach zu machen und den Patriotismus mit dem Studium der irischen Frühgeschichte zu nähren. Was Autoren nun beschäftigte, waren ausschlieÃlich die groÃen Themen der irischen Vergangenheit: Flucht und Emigration, Unterdrückung und Rebellion. Eine Ausnahme bildete dabei W. B. Yeats, sowohl als Lyriker wie als Dramatiker und Prosaschriftsteller. Seine Gedichtsammlungen, beeinflusst von englischen Autoren wie z.B. Percy Bysshe Shelley und William Blake, waren in ihren symbolischen Formen international maÃgeblich und begründeten die «Irish Renaissance». Das Ambivalente an Yeats war sein Versuch, irisches Nationalbewusstsein mit den Mitteln der englischen Sprache zu fördern. Mit dem Dubliner Abbey Theatre wollte er beweisen, dass Protestantismus und irische Identität nicht unvereinbar waren, zudem nahm er einen Sitz im Senat des Freistaats ein. Hingegen hatte er für die emotionalen Aspekte des katholischen Nationalismus, für die Geschichte des Hungers und der Vertreibung nur ein geringes Interesse.
Eine andere Ausnahme war der Kulturprotestant Samuel Beckett, der wie Wilde am Trinity College Dublin sozialisiert wurde,wie Joyce den GroÃteil seines Lebens in Paris verbrachte und wie Yeats mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde (1969). Für Beckett war Irland politisch und kulturell unattraktiv. Literarisch und philosophisch fühlte er sich dem Existenzialismus und dem Nihilismus näher, und seine berühmten Theaterstücke schrieb er im Original auf Französisch, bevor er sie selbst ins Englische übersetzte. Aber er bediente sich irischer Szenen, Orte und Themen für seine Dramen. Wie stark diese auch noch die Gegenwartsliteratur prägen, lässt sich an Autoren wie Patrick Kavanagh und Seamus Heaney ablesen. Als immerhin vierter irischer Literaturnobelpreisträger (1995) nach Yeats, Shaw und Beckett trug Heaney zu einer international stärkeren Wertschätzung Ulsters bei. Seine Gedichtsammlungen greifen lokale und regionale Themen auf und handeln von Mooren und Torflandschaften sowie von spezifischen Traditionsbeständen der nordirischen Geschichte.
Eigenwege des Nordens
Dass auch Ulster von Anfang an von schwerwiegenden politischen Problemen nicht verschont würde, lag auf der Hand. Dafür waren die sechs Grafschaften Antrim, Armagh, Down, Fermanagh, Londonderry und Tyrone wirtschaftlich zu unselbstständig und gesellschaftlich zu uneinheitlich. Der britische Schriftsteller Rudyard Kipling formulierte in seinem Gedicht
Ulster 1912
die Sorge, dass die beiden Lebenskulturen Nordirlands niemals auf einen Nenner gebracht werden könnten â zu viel trenne sie historisch, und zu wenig eine sie für eine friedliche Zukunft.
Als Schiffbau und Leinenproduktion, die
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