Geschichte Irlands
deutlich erfolgreicher in qualifizierten Berufen als ihre männlichen Mitbewerber. 1979 lebten in Leinster mit seinem reichen Angebot attraktiver Arbeitsplätze 2 % mehr Frauen. Mit Blick auf ganz Irland bildeten Frauen allerdings eine leichte Minderheit. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hatte sich in Irland das Geschlechterverhältnis so ungünstig entwickelt, dass im Durchschnitt auf dem Land auf 100 Männer nur 88 Frauen kamen, während in der Stadt auf 100 Frauen 93 Männer fielen. Noch 1841 hatten nur 4 % der irischen Gesamtbevölkerung in Dublin gelebt. 130 Jahre späterwar es hingegen jeder Vierte, der in der Hauptstadt, und jeder Fünfte, der in Belfast wohnte. Die graduelle Urbanisierung verwandelte das Gesicht der Insel geographisch und sozial.
Diejenigen, die sich in der Heimat nicht in das katholische Weltbild und die Identifikation von katholischer Kirche und Freistaat fügen konnten, wurden häufig verfolgt. Organisationen wie die Legion of Mary von 1921 kannten für Kommunisten und Prostituierte, Homosexuelle und Ehebrecher kein Pardon. Katholische Interessenverbände übten beträchtlichen Druck auf Politik und Medien aus. Die schon 1915 gegründeten Knights of Saint Columbanus versuchten sicherzustellen, dass Katholiken auf dem umkämpften Arbeitsmarkt bevorzugt wurden und dass die Gesellschaft sich nicht pluralistisch organisierte, wie es die Verfassung vorsah, sondern sich uniform gab, wie es der Kirche nutzte. So erinnerte das moderne Irland des 20. Jahrhunderts in manchem eher an den Puritanismus der Viktorianer als an die moralische Freizügigkeit der mittelalterlichen keltischen Vorfahren. Dies ist nur eine der Paradoxien der irischen Anglophobie.
Dazu kam das zunehmend prekäre Verhältnis zu Ulster. Die Teilung hinterlieà ihre Spuren bis in die Kommunikationswege. Besaà das Land 1866 fast 2000 Meilen Eisenbahnstrecken, so hatte sich dieses Verkehrsnetz Ende der 1970er Jahre auf 1250 Meilen verkleinert und auf eine einzige direkte Nord-Süd-Verbindung zwischen Belfast und Dublin reduziert. Eisenbahnlinien, die das agrarische Hinterland mit den gröÃeren Städten verknüpften, wurden nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Aufkommen des Autoverkehrs wieder stillgelegt. In anderen Bereichen wie etwa der Telekommunikation war Irland rückständiger als andere europäische Länder. Noch um 1980 besaÃen nur 14 von 100 Iren ein Telefon.
Im Ballungsraum um und westlich von Belfast lebten in den 1930er Jahren über 50 % Protestanten, in Connacht lag der Anteil unter 1 %, im Rest des Freistaats kaum über 10 %. In diesen Zusammenhang fällt auch die politische Rolle der IRA. Als militante Untergrundorganisation bildete sie seit 1922 die gesellschaftlich und politisch stärkste Gegenkraft zu allen Aussöhnungsversuchenmit den Briten. Nach einer Serie politischer Attentate verbot de Valera die IRA 1936 im Freistaat, so dass sie ihre Hauptaktivitäten nach Nordirland verlegte. Aber noch im selben Jahr verdingten sich Mitglieder der IRA auf Seiten der Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg. Kurzfristig wurden damit innerirische Spannungen nach Spanien exportiert.
Etwa 700 Mitglieder der paramilitärischen «Blueshirts», einer faschistischen Organisation, die Franco unterstützte und Kontakte zu faschistischen Kampfbünden in Deutschland und Italien unterhielt, kämpften in Spanien gegen die IRA, während die Organisation in Irland vorgab, die soziale und christliche Ordnung zu verteidigen. Aus einer Veteranenvereinigung hervorgegangen, nahm sie sich unter Führung von Eoin OâDuffy besonders den italienischen Faschismus zum Vorbild. Wohl waren die Blueshirts nicht so stark wie z.B. die British Union of Fascists und in keiner Weise so schlagkräftig wie die kontinentaleuropäischen faschistischen Verbände, doch gab es in Irland ähnliche Krisensymptome, die zu ihrem Entstehen beitrugen: eine allgemeine Skepsis gegenüber dem Freihandelsliberalismus, ein überlieferter Kulturpessimismus, ein radikaler Nationalismus, eine offen antisozialistische, antisemitische und populistische Propaganda sowie eine traditionell in der Gesellschaft verwurzelte Abneigung gegenüber dem Parlamentarismus.
Insgesamt aber überstand Irland die Zeit des Zweiten Weltkriegs relativ unbeschadet und war vergleichsweise gut aufgestellt, als es sich in der zweiten Jahrhunderthälfte Europa
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