Geschichten von der Bibel
es habe auch etwas Gutes gehabt, dieser Gesetzesbruch durch Moses. Denn dem Volk Israel sei von da an niemals mehr das Wasser ausgegangen, denn immer war ein Brunnen da.
»Unser Mirjams-Brunnen«, sagte die Leute.
Da war dann Mirjam stolz, daß ihr Name für den Segen des Wassers stand.
Und Zippora? Sie fand sich ab. Viel hatte sie von ihrem Mann nie gehabt. Zwischen dem wenigen, was er ihr gegeben hatte, und dem gar nichts, was er ihr nun gab, war der Unterschied so gering, daß er kaum benannt werden konnte. Sie fand sich ab.
Und Aaron? Er hielt von nun an für lange Zeit kühlen Abstand zu seinem Bruder.
Eines Tages – das Volk Israel war beim Berg Hor angekommen – betrat Aaron das Zelt des Moses.
Er sagte: »Bruder, komm mit mir, komm mit mir!«
Aaron führte Moses auf den Berg.
»Ich werde sterben«, sagte er. »Auf diesem Berg werde ich sterben. Ich möchte mit dir ein paar Dinge bereden. Siehst du, ich habe mir immer gewünscht, daß Gott auch mir einmal begegnet, daß er auch mit mir einmal spricht, so wie er mit dir immer gesprochen hat, so oft gesprochen hat. Er hat auch im Traum mit unserer Schwester Mirjam gesprochen. Jedenfalls hat er einen seiner besten Engel zu ihr geschickt. Mit mir hat er weder gesprochen, noch hat er mir einen Engel geschickt. Ich habe eine einzige Frage an dich: Was wird sein, wenn wir tot sind? Was kommt danach?«
»Ich weiß es doch auch nicht«, sagte Moses.
»Hat er es dir denn nicht gesagt?« fragte Aaron.
»Nicht, daß ich wüßte«, sagte Moses.
»Ich fürchte«, sagte Aaron, »ich fürchte, daß nichts ist danach, gar nichts.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Moses. »Das hätte er mir bestimmt gesagt.«
»Wie sollen wir das rauskriegen?« fragte Aaron. »Es wäre doch gut, wenn man das wüßte.«
»Ich hätte mich früher darum kümmern sollen«, sagte Moses. »Hättest du mich nur früher danach gefragt! Jetzt bin ich zu müde, um darüber nachzudenken. Ich will nichts mehr wissen. Gar nichts mehr. Nicht einmal, was nach dem Tod ist.«
»Ich werde es bald wissen«, sagte Aaron.
Er legte sich auf den Boden und starb.
Und Moses scharrte ein Grab mit seinen Händen aus und legte seinen Bruder hinein.
Im selben Monat starb auch Mirjam.
Eines Nachts hatte Moses einen Traum. Er sah im Schlaf seinen alten Erzrivalen, den Zauberer Bileam ben Beor, der kam ihn besuchen.
Und er fragte: »Moses, sag mir, was habe ich falsch gemacht in meinem Leben?«
Und Moses antwortete ihm im Traum: »Du hast nicht zum Himmel hinaufgeblickt, du hast dich nicht erhoben.«
Und Bileam ben Beor sagte: »Ich bin als Kind in einen Honigtopf gefallen, und die Sonne hat mich zu Gold gemacht. Ich bin zu schwer, um mich zum Himmel zu erheben.«
Und Moses sagte im Traum: »Das ist keine Rechtfertigung. Sogar Steine sind nicht zu schwer, um sich zum Himmel zu erheben.«
Er zeigte Bileam ben Beor die Gesetzestafeln vom Berg Sinai.
»Siehst du«, sagte er, »die sind vom Himmel heruntergeschwebt, gerade in meine Arme.«
Moses träumte, Bileam ben Beor habe die Gesetzestafeln wie Flügel genommen, eine links, eine rechts, und sei mit ihnen davongeflogen. Über die Wüste. Über das Meer. In den Dunst am Horizont.
Da wachte er auf.
Voll Angst sagte er zu sich: »Das Gesetz Israels ist gestohlen worden!«
Er wollte nachsehen, aber er kam nicht dazu, denn vor seinem Zelt stand Gott.
Gott nahm Moses an der Hand und sagte: »Denk jetzt nicht an das Gesetz! Ich will dich auf einen Berg führen. Du wirst das Land, in dem Milch und Honig fließen, zwar nicht betreten, aber ich will es dir zeigen.«
Gott führte Moses auf den Berg, und er zeigte ihm das Land Kanaan.
»Dorthin werde ich mein Volk führen«, sagte Gott.
Und Moses starb.
Weitere Kostenlose Bücher