Geschichten von der Bibel
ERSCHAFFUNG DER WELT
Von den Redaktoren der Bibel – Von Apsu und Tiamat – Von allen Ideen – Vom Krieg Marduk gegen Tiamat – Von den Tätowierungen auf dem Unterarm Gottes – Von Beth und Aleph – Von den großen sieben Tagen – Von Luzifer – Vom Garten Eden – Vom Sohn der Morgenröte – Von Gottes Eigentum
Wo beginnen? Bei Adam und Eva? Freilich, dort war unser Anfang. Aber doch nicht der Anfang aller Dinge. Soll die Erzählung dort beginnen, wo Gott seinen Siebentagesplan umzusetzen begann? Als er Licht werden ließ über dem Chaos, über dem Tohuwabohu?
An diesem Punkt beginnt die Bibel. Und es hat sicher etwas Verlockendes für den modernen Menschen, der an die Spekulationen der Physik nicht weniger glaubt als die Alten an die Spekulationen der Mythen, sich diesen ersten Schöpfungsakt als dimensionslosen Punkt vorzustellen – wobei uns gar nicht auffällt, daß das Wort Urknall viel eher dem Wortschatz der Mythologie als der Physik eignet.
Die Genesis, das erste Buch Mose, ist der archaischste Teil der Bibel und vielleicht der schönste. Die Verbindung von bunter Lebendigkeit auf der einen und menschenferner Kargheit auf der anderen Seite hat wie kein anderer Text vorbildhaft auf die abendländische Literatur gewirkt, und das bis zum heutigen Tag.
Als ich zum ersten Mal die Genesis las – ich war damals im Internat, ich war krank, und im Krankenzimmer gab es nur ein Buch, nämlich das Buch der Bücher, und um mir die Langeweile während der Genesung zu vertreiben, las ich darin –, schon damals wunderte ich mich. Ich wunderte mich über die Kürze des Schöpfungsberichts. Gibt es über die Erschaffung der Welt nicht mehr zu erzählen?
Und dann: Es liegen zwei sich im Ablauf widersprechende Berichte vor. Im ersten Bericht wird der Mensch am letzten Tag erschaffen, nachdem bereits alle Tiere und Pflanzen gemacht worden waren. Im zweiten Bericht ist der Mensch vor den Pflanzen und den Tieren da. Wovon hat er sich ernährt? Gut, es handelte sich nur um zwei, drei Tage, so lange hält man es ohne Essen aus.
Aber das ist längst nicht alles. Widersprüche über Widersprüche: Da wird am ersten Tag das Licht herbeibefohlen, und erst am vierten Tag wird die Sonne erschaffen. Wußten die Alten nicht, daß unser Licht von der Sonne stammt? Kaum anzunehmen.
Aber wie gesagt, am meisten wunderte ich mich über die Kürze des Schöpfungsberichts. Da hat sich der Erzähler etwas vergeben. So dachte ich, und so denke ich bis heute. Und angenommen, es ist wirklich so, wie unser Religionslehrer wußte, daß nämlich in der Bibel Gott selber zu uns spricht, dann wunderte es mich um so mehr. Ich an Gottes Stelle hätte doch über die Erschaffung der Welt, was doch immerhin sein Hauptwerk war, ein wenig ausführlicher berichtet. Ist Gott so bescheiden? Diesen Eindruck hatte ich nicht, ganz im Gegenteil. Je weiter ich in die Genesis hineinlas, desto deutlicher wurde mir, daß Gott alles andere als bescheiden war. Es gab ja auch gar keinen Grund zur Bescheidenheit.
Es blieb der Eindruck: Die Erschaffung der Welt liest sich in der Bibel wie eine Inhaltsangabe. Nur daß eben das Buch zur Inhaltsangabe fehlt.
Warum ist das so?
Wenn man sich die Sagen und die Mythen, die Legenden und Märchen ansieht, die von allem Anfang an um die biblischen Geschichten waren wie das Wasser um eine Insel, dann erfahren wir, daß über die Erschaffung der Welt ursprünglich in ebenso bunten, üppigen Bildern erzählt worden war wie in den folgenden Geschichten – zum Beispiel über Jakob und seine Söhne oder das Leben des Josef am Hof des Pharaos.
Die mythologische Buntheit war offensichtlich ein theologisches Ärgernis. Die Mythen erzählten nämlich von Göttern, von vielen Göttern mit verschiedenen Interessen, die keine für alle verbindliche, eben auch für den Menschen verbindliche Moral kannten. Die Theologen dagegen wollten den einen, den einzigen Gott, dessen Gebote verbindlich waren wie das Gesetz.
Die Bibel ist ja mehr eine Bibliothek als ein Buch. Verschiedene Autoren haben zu verschiedenen Zeiten ihre Beiträge geliefert. Die Redaktoren waren eifersüchtig darauf bedacht, alles auszumustern, was auch nur den Gedanken aufkommen ließ, daß es neben dem Einen noch andere Götter gab oder je gegeben hat. Man könnte es auch so ausdrücken: Sie waren ebenso eifersüchtig wie ihr Gott. Manchmal allerdings unterliefen ihnen Unachtsamkeiten.
In den Geboten, die Mose von Gott auf dem Berg Sinai empfangen hat,
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