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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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frühsommerlichen Sonntagabend vor drei Jahren, Berit und er saßen gerade mit dem im Kinderwagen schlafenden Malte beim Essen auf der Terrasse, hatte er aus dem Nichts heraus bei ihm angerufen und Gabor unumwunden um einen Job gebeten. Zu seiner eigenen Verwunderung hatte es Gabor keinerlei Mühe gekostet, Yann die Stelle eines Stationsarztes zu beschaffen, außerdem nahm er ihn in seine Forschungsgruppe zur Gesichtsblindheit auf, in der Yann sich zum Chefautor entwickelte, was angesichts seiner Erfahrung nicht verwunderte, obwohl ihn die Fragen der Prosopagnosie nicht sonderlich interessierten.
    »Herrlicher Wind«, sagte Yann. »Und bei euch?«
    »Heiß. Kaum Wanderungen, wenige Ausflüge. Aber Malte behauptet jetzt, er könne schwimmen, was nicht stimmt.« Gabor kniff die Augen zusammen, um die Farben der Flagge zu erkennen, die vor dem Kanzleramt an einem Mast hing. »Und Nele ist unglücklich verliebt. Ein absolutes Geheimnis. Wir wissen nicht einmal, wie er heißt.«
    »Sind doch schön, solche väterlichen Sorgen.«
    Statt etwas zu erwidern, nickte Gabor Richtung Tiergarten.
    »Wer ist da zu Besuch?«
    Yann hob den Sucher seines Mobiltelefons vors Auge, zoomte den marmorhellen Kasten heran. Ein paar Sekunden herrschte Stille.
    »Slowenien. Und wie geht es Berit?«
    »Der neue Job gefällt ihr. Das Wort ›Schweigepflicht‹ hat in unserer Familie neuerdings eine ganz andere Bedeutung.«
    »Das musst du verstehen. Endlich hat sie Arbeit, die sie mag. Ausgleichende Gerechtigkeit nennt man so etwas.«
    Etwas störte ihn an Yanns Parteinahme für Berit, wahrscheinlich nur die Tatsache, dass Gabor keinen ähnlich vertraulichen Satz über Yanns Frau sagen konnte, denn Yann war nicht verheiratet. Einmal hatte er eine gewitzte Anwältin in knallengen Jeans mit zu ihnen gebracht, ihren Namen danach aber nie wieder erwähnt, und Gabor ging davon aus, dass Yann ihr unstetes Studentenleben von damals bis heute fortsetzte. Er brachte Yann deshalb noch immer mit einem unerhört gut aussehenden Mädchen mit Locken und heller Porzellanhaut in Verbindung, mit dem er zusammen gewesen war, bevor Gabor nach Köln gezogen war. Aus den Augenwinkeln sah Gabor auf dem Bildschirm den hellen Fleck einer Wetterkarte, Europa farblich aufgeteilt nach den Temperaturzonen, der Zipfel unten rechts leuchtete Dunkelrot.
    »Kommst du Freitag zum Essen?«, fragte er.
    »Gern«, sagte Yann. Und dann, bevor Gabor danach fragen konnte: »Übrigens: Keine Neuzugänge, die für uns interessant sein könnten.«
    Der knappe Bericht der Stationsschwester, den er im Glasverschlag der Anmeldung zur Kenntnis nahm, durchs Fenster eine nach Tegel einschwebende Maschine im Blick, deren Unterseite wie schmorend im Licht gleißte. Die konzentrierte Stille während der Röntgenbesprechung, die Gerüche und bekannten Wege. Gabor glitt in die Abläufe hinein wie Finger in einen Handschuh, der sich so bequem der Haut anschmiegt, dass er sich fragte, wie er dieses vertraute Gefühl jemals hatte vergessen können. Ein spätsommerlicher Tag, die Schule hatte begonnen, und auf der Station lag selbst am Mittag noch eine verschlafene Stille. Aber er vergaß sein Mobiltelefon lautlos zu stellen. Während der Oberarztvorstellung drangen zweimal die rauchigen Klagelaute von Miles Davis’ »Kind of Blue« aus seiner Hosentasche, was seine jungen Kollegen mit versteinerten Mienen überhörten. Wieder in seinem Zimmer, sah er eine Weile auf das Display, bis er die Nummer endlich Timothy und Maureen auf der Insel zuordnete. In Sorge, dass etwas mit dem Haus nicht in Ordnung sein könnte, wollte er gleich zurückrufen, wurde aber unterbrochen.
    »Entschuldigung. Ich habe geklopft, ich dachte … Ich komme später wieder.« Das Gesicht bleich, als hätte sie in den letzten Wochen auch die Nächte auf der Station verbracht, stand eine seiner Mitarbeiterinnen in der Tür.
    »Was gibt’s denn?«
    »Ich wollte, wahrscheinlich wissen Sie es schon«, sagte Lavinia Seidler. »Wir haben einen Patienten mit kongenitaler Prosopagnosie. Höchstwahrscheinlich.«
    Überrascht drückte er den Rücken in die Lehne.
    »Nein. Das weiß ich noch nicht.«
    Sie stemmte die Hände in die Taschen ihres Kittels, während ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huschte. Lavinia. Was immer ihre Eltern sich bei der Wahl dieses Namens von ihrer Tochter erträumt hatten – sie dürften zufrieden sein. Keine Opernsängerin, aber seit einem Jahr in seiner Gruppe und so ehrgeizig, dass sie das Team bald

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