Gestaendnis im Orchideengarten
wandte sie sich ihm wieder zu. „Und jetzt ist es ein schickes Hotel.“
„Wow“, sagte er fast ehrfürchtig. „Ist das wahr? Auf diesem prachtvollen Anwesen sind Sie aufgewachsen?“
„Oh ja. Mit acht kam ich ins Internat, doch in den Schulferien war ich immer hier. Wir hatten kein Geld für Extravaganzen, aber für mich war es das Paradies. Ich habe schöne Erinnerungen an früher.“ Sie lächelte, hob eine Braue und fragte dann: „Und wo steht Ihr Schloss? In Transsylvanien?“
„Nein, ich lebe in einem Verlies. Ist allerdings schwierig, heutzutage ordentliches Personal zu kriegen. Es ist sehr feucht und kalt dort unten ohne Zentralheizung.“
„Verstehe. Der moderne Vampir mag es gern warm.“
„So ist es.“ Graf Dracula lehnte über die gusseiserne Balustrade der Terrasse und sah in die Ferne. „Ich beneide Sie um Ihre Kindheit hier.“
Sara stellte sich neben ihn und hielt sich mit den Händen am Gitter fest. Die Kirschbäume hinter dem Haus waren mit Lichterketten geschmückt, und alles wirkte wie im Märchen. Eine laue Brise wehte den Duft von Rosen und Clematis zu ihnen herüber.
Es war ein wundervoller Abend, schon lange hatte sie sich nicht mehr so gelöst gefühlt. Über ihnen leuchteten die Sterne, und ein fahler Sichelmond zeigte sich am Horizont.
Plötzlich war sie unendlich froh, dass sie Helens Einladung gefolgt war.
In London hatte sie immer Heimweh nach Kingsmede Manor gehabt, deshalb war sie wieder zurück aufs Land gezogen.
Schweigend lehnte sie an der Balustrade, sog die warme Abendluft ein und lauschte dem fernen Partygeschehen. Erst jetzt bemerkte sie, wie nahe sie beieinander standen. Sie hörte seinen Atem und den Wind, der sanft durch sein Seidencape raschelte.
Wie aufregend! Es war lang her, seit sie den letzten Abend mit einem gut aussehenden Mann an ihrer Seite verbracht hatte. Noch dazu mit einem, der die Stille genießen konnte. Er sprach wenig und überließ ihr die Konversation, doch sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart und plauderte über dies und das.
Ob sie ihm von der Orchideenzucht erzählen sollte? Oder würde ihn das in die Flucht schlagen? Helen schickte bestimmt gleich ein Suchkommando los, außerdem wartete da drin noch irgendwo ihr ungewolltes Blind Date.
Leichte Schuldgefühle krochen in ihr hoch. Wahrscheinlich wartete dieser Freund von Caspar schon längst auf sie und fühlte sich von ihr verschmäht. Sie musste wieder hineingehen und sich den unangenehmen Tatsachen stellen.
Gleich.
Gleich würde sie zur Party zurückkehren.
Nur noch ein paar Minuten hier draußen mit ihm, dann würde sie sich wieder unters Partyvolk mischen. Sie wollte sich nicht im Garten verstecken und melancholisch vergangenen Zeiten hinterhertrauern, obwohl sie die Begleitung dieses guten und gut aussehenden Zuhörers sehr genoss.
„Ich war schon lange nicht mehr hier“, sagte sie leise. „Mein kleines Haus liegt dort drüben, ich kann das Hotel von meinem Fenster aus sehen. Doch die Terrasse und der Garten sind nun den Hotelgästen vorbehalten, ich habe hier nichts mehr zu suchen. Es ist also eine seltene Gelegenheit für mich.“
„Sie vermissen den geliebten Ort Ihrer Kindheit wohl sehr“, sagte er mit sanfter Stimme und lächelte, als er ihr überraschtes Gesicht sah. „Das merkt man. Vor allem weil …“
„Weil?“, fragte sie mit bebender Stimme, denn sie war es nicht gewohnt, sich einem wildfremden Mann anzuvertrauen. Doch bei ihm war es anders. Sehr merkwürdig .
„Vor allem, weil man Sie mit acht Jahren von hier fort ins Internat geschickt hat.“ Er schnaubte leise. „Mit acht! Ich kann das nicht begreifen. Sie müssen furchtbar gelitten haben.“
Gelitten? Was wusste er schon von ihrem Leid damals. Von dem traumatischen Moment, als ihre Mutter sie einfach weggab, weil sie nichts mit ihrem Kind anfangen konnte. Damals, als ihr geliebter Vater es für das Beste hielt, sie ihrem Schicksal zu überlassen, um in Südamerika ein neues Leben anzufangen, aus Enttäuschung darüber, dass ihm das Luxusleben, das er sich an der Seite einer adligen Ehefrau erhofft hatte, versagt blieb.
Ihr wurde damals der Boden unter den Füßen weggezogen, und bis heute fiel es ihr schwer, wieder festen Tritt zu fassen. Auch in dem Cottage bei den Orchideen, indem sie seit drei Jahren lebte, fühlte sie sich an manchen Tagen heimatlos und verlassen, obwohl es ihr niemand wegnehmen konnte, weil es ganz allein ihr gehörte. Und die Orchideenhäuser, für die sie alle
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