Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
bestärkt einen dann noch darin, dass das alles gar nicht wahr sein kann. Es fehlt auch die Zeit, alles muss schnell gehen, man kommt gar nicht zur Ruhe, bekommt gar nicht die Gelegenheit, ganz langsam loslassen zu können, Abschied zu nehmen und seinen Frieden mit der beschissenen Situation zu machen.
»Kommen Sie!«, sage ich, biete ihr meinen Arm an und führe sie zum Aufzug. Wir fahren hinunter. Ich habe extra nicht unten angerufen, habe den Verstorbenen nicht in eine Aufbahrungszelle legen lassen, ich möchte, dass Daniela mit dem Tod konfrontiert wird. Dann kann der Schrecken sich lösen und dann können wir Schritt für Schritt all das ermöglichen, was nötig ist, um ihr den Abschied wenigstens ein bisschen zu erleichtern, ja um diesen Abschied überhaupt erst zu ermöglichen.
Unten angekommen, stehen wir im großen Sarglager, ich führe die junge Frau zu den Särgen, zeige ihr mal, was es da so gibt, nicht im Detail, mir geht es nur darum, dass sie versteht, dass wir in der Realität sind. Dann geht es an den Regalen mit den Decken und Hemden vorbei in Richtung der Kühlkammern. Manni schließt die Türen, als er uns kommen sieht, und stößt einen leisen Pfiff aus. So ist Sandy vorgewarnt, und als wir um die Ecke biegen, hake ich Daniela unter und führe sie in den gekachelten Raum mit den Edelstahlmöbeln, in dem Sandy gerade noch an Beat gearbeitet hat. Nackt, nur mit einem grünen Tuch bis unters Kinn bedeckt, liegt er da. Die Augen sind geschlossen, und von den schweren Gesichtsverletzungen ist nichts mehr zu sehen. Nein, er liegt nicht da, wie man es von den Leichen aus dem Krimi kennt. Das sind lebende Menschen, die nur so tun, als ob sie tot seien. Ein richtiger Toter sieht anders aus, da sieht man, dass da kein Leben mehr in ihm ist.
Daniela bleibt kurz stehen, sagt: »Beat!«, dann schlägt sie die Hände vor das Gesicht, und ich habe das Gefühl, als ob ihre Knie nachgeben. Manni ist sofort zur Stelle, wir stützen sie, aber es hat nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert, dann steht sie wieder fest, geht einen Schritt vor, schaut, geht noch einen Schritt vor und streckt ihre Hand aus, so als ob sie ihren Mann berühren wolle, doch es fehlt ein Zentimeter.
Mit diesem Zentimeter Abstand lässt sie ihre Hand über sein ganzes Gesicht gleiten, dann zieht sie sie zurück, schaut Sandy an und meint: »Ist das nicht ein hübscher Mann? Was meinen Sie?«
Sandy nickt: »Ja, ein klasse Typ.«
Unvermittelt dreht Daniela sich um, und wir gehen wieder, fahren nach oben und sitzen wenig später wieder im Beratungsraum.
»Wie geht es weiter?«, will sie wissen, und ich sage ihr, dass es genau so weitergeht, wie sie es sich wünscht.
»Ich habe doch keine Ahnung«, sagt sie, »ich war als Kind einmal auf der Beerdigung meiner Oma und weiß doch gar nicht, was man da so alles macht.«
Ich schlage ihr vor, dass wir einfach mal einen Sarg aussuchen und dann gemeinsam überlegen, wie der grobe zeitliche Ablauf sein soll. Gerne möchte ich nämlich, dass Daniela nach Hause geht und in aller Ruhe überlegen kann, morgen werden wir dann gemeinsam ein Abschiednehmen erarbeiten.
Sie entscheidet sich spontan für einen großen Sarg in schwarzem Klavierlack. Der sei genauso glänzend und schwarz wie der Audi.
Ein Totenhemd will sie auf keinen Fall. Ich sage: »Dann suchen Sie für ihn aus, was Sie für richtig halten. Bringen Sie morgen einfach alles mit.«
»Soll ich das in einen Koffer tun?«, fragt sie, und ich nicke: »Ja, nehmen Sie einen kleinen Koffer und packen Sie den für Beat, tun Sie da alles rein, was er mitnehmen soll.«
Kurz huscht ein Strahlen über ihr Gesicht, und die schönen blauen Augen leuchten für eine Sekunde auf. Ich habe den richtigen Nerv getroffen.
Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. So ist es gut, wir werden den plötzlichen, erzwungenen Abschied in einen langen Abschied verwandeln, in dem wir Daniela ihren Beat auf die letzte große Reise schicken lassen.
Es ist noch viel zu früh, da klingelt es schon, und ich schlüpfe nur in eine schwarze Jogginghose, streife mir ein T-Shirt über und gehe nach unten. Wenn das wieder nur irgendein indischer Pizzazettelverteiler ist, der unseren Briefkasten nicht gefunden hat, bin ich fest entschlossen, Indien durch eine sofortige Handlung davor zu bewahren, China in zwölf Jahren als bevölkerungstärkstes Land zu überholen.
Aber da steht kein schmächtiger Schwarzhaariger, sondern eine zierliche Blonde, Daniela ist gekommen.
Ihr
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