Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
hatte ich mir anders vorgestellt, und ich ärgere mich, dass ich nicht unseren eigenen Abspieler mitgebracht habe. Manni, unser Fahrer, ist Funkamateur und hat mal eine kleine Kiste zusammengelötet, die hinten alle passenden und unpassenden Anschlüsse aufweist, vorne an unseren Player angeschlossen werden kann und die Brücke zu allen möglichen Hallenverkabelungen darstellt. Wir haben sogar eigene Boxen mit Stativständern. Alles das hätte ich mitbringen können …hätte ich, habe ich aber nicht …
Der Pfarrer hüstelt an der Tür und hält mich für einen Organisten. Ich kann zwar Orgel spielen, aber an dem betagten Instrument ist ein Manual mit grauem Klebeband zugeklebt und am verbliebenen stehen mehrere Tasten in einem abenteuerlichen Winkel ab. Darauf werde ich bestimmt nicht spielen, doch der Pfarrer will unbedingt »So nimm denn meine Hände« haben, das bekommt er sonst immer, und ohne dieses Lied kommt seine Ansprache nicht in Fahrt, weil er seit zweiundzwanzig Jahren in seiner Trauerrede auf dieses Lied Bezug nimmt und immer dieses Lied bekommt.
Der Friedhofsverwalter weiß einen Ausweg: »Wir haben eine CD mit dem Lied. Hier ist sie, es ist das elfte Lied.«
So sitze ich da auf einem wackeligen, hölzernen Hocker in einer ehemaligen Leichenzelle, schiele durch die Wandverkleidung und kann vom Pfarrer nur die Füße sehen. Die Trauergäste sitzen bereits, der Pfarrer scharrt mit den Füßen, und ich jongliere mit der friedhofseigenen CD. Wie war das noch mal? Die Klappe muss man festhalten, den Stecker hinten herunterdrücken und das Gerät dabei auf einer Seite anheben. Ich bräuchte unbedingt noch eine dritte Hand!
Es muss bescheuert ausgesehen haben, aber mir blieb keine andere Wahl, als mit der Nase auf die Play-Taste zu drücken.
»So nimm denn meine Hände« klingt eigentlich anders, was in erster Linie daran liegt, dass ich Lied Nummer 10 abspiele und das ist eindeutig der Hochzeitsmarsch. Vor Schreck lasse ich die schiefgehaltene Konstruktion los, die Musik verstummt schlagartig, es krächzt in den Boxen, und ich drücke schnell die Weiter-Taste. »11« steht im Display, wieder die Klappe andrücken, den Stecker hinunterdrücken und dabei das Gerät irgendwie leicht anheben. Das Andrücken der Klappe mache ich dieses Mal mit dem Knie, so habe ich eine Hand frei, um Play zu drücken. Es mag seltsam aussehen, aber mich sieht ja keiner, und endlich spielt auch das Hände-Lied.
Als das vorbei ist, hält der Pfarrer seine Ansprache, und ich nutze die kurze Zeit bis zum nächsten Titel auf der anderen CD, um mich in der Leichenzelle umzusehen. Es muss doch irgendetwas geben, was ich unter das Gerät legen kann, damit ich es nicht immer auf einer Seite anheben muss.
Ich entdecke zwei gläserne Windlichter auf der Fensterbank, befreie diese grob von den Spinnweben der letzten drei Jahrhunderte und bastele sie unter den CD-Player, wunderbar, das passt!
» … darum lasset uns jetzt Einkehr halten«, endet der erste Teil der Pfarrerrede, und das ist für mich der Moment, das erste Lied von der mitgebrachten CD abzuspielen. Klappe andrücken, Stecker runterdrücken, es klappert, die Windlichter schießen mit Schallgeschwindigkeit gegen die Wand, zerschellen dort, und es klirrt und scheppert fürchterlich. Der CD-Player kracht auf den Tisch, weil nun die Windlichter, die ihn eben noch oben hielten, ihre stützende Funktion gegen eine zerstörerische Flugbahn in Richtung Wand eingetauscht haben. Durch das Aufschlagen der hochgestellten Seite auf die Tischplatte kommt der CD-Player in Gang und spielt von der mitgebrachten CD »Die bekanntesten Märsche der Welt« nicht den Trauermarsch, den sich die Angehörigen gewünscht haben, sondern »Hail to the Chief«, die Melodie, mit der für gewöhnlich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in der Öffentlichkeit begrüßt wird.
Ich füge mich in mein Schicksal, lasse die Präsidentenhymne eine Weile laufen und blende sie dann mit dem Lautstärkeregler aus. Der Pfarrer fährt in seiner Ansprache fort, und ich wechsle die CD. Auf dem Programm steht das »Ave-Maria«, gesungen von Ivan Rebroff. Von der CD-Hülle grinst mich der inzwischen längst verstorbene Russe aus Berlin, der 96 Oktaven alleine schon mit dem Bauchnabel intonieren konnte, grinsend unter seiner überdimensionalen Fellmütze als Ersatz für eigenes Haupthaar an.
Während ich noch überlege, ob da was dran ist, dass mir die Gemüsefrau erzählt hat, der sei in
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