Gewitter über Pluto: Roman
der Tat eine schicksalhafte Bindung
zwischen Menschen und Orten gegeben ist, eine schnurartige Passage, vor allem
aber auch zwischen Menschen und Menschen sowie Menschen und Tieren, bildet der
StraÃenverkehr eine gleichzeitig gottlose wie unnatürliche, von keiner
Evolution vorausgesehene oder eingliederbare Barriere. Der StraÃenverkehr ist
sehr viel weniger darum so schlimm, weil er unsere Luft verpestet, sondern weil
er verhindert, daà Dinge und Lebewesen zueinanderkommen, die füreinander
bestimmt sind. Würde der StraÃenverkehr fehlen, könnten sich jene Menschen
begegnen, die gemäà einem logischen Plan sich versprochen sind und wie
kosmische Brocken aufeinander zu fliegen. So aber müssen sie ständig dem
Verkehr ausweichen, Umwege nehmen, mit dem Wahnsinn der Fahrer rechnen,
kontrollierte Ãbergänge aufsuchenâ¦oder sie sitzen selbst in einem Wagen,
fabrizieren selbst die Barrieren, die ein solch fatales Unglück in ihr Leben tragen.
Der Verkehr ist ein Teufelsding, viel schlimmer als der Umweltschutz und die
Parkplatzjammerer meinen.
Das wuÃte Lorenz. Zumindest ahnte er es in diesem besonderen Moment.
Rang also um höchste Konzentration. Und versuchte, nach einer jeden durch den Verkehr
erzeugten Unterbrechung den Faden wieder neu aufzunehmen. Denn auch wenn ein
solcher Faden unsichtbar war, so besaà er dennoch eine gewisse Spannung, eine
durch den Zug zwischen A und B sich ergebende Elektrizität. Etwas, was viele
Leute mit Magie verwechselten. Es gibt nichts Ãbernatürliches, es gibt nur
Dinge, die, will man sie erkennen, ein gutes MeÃgerät benötigen. Vielleicht
eines, das noch gar nicht erfunden wurde.
Lorenz aber folgte auch ohne eine derartige Apparatur dem
angespannten Faden, folgte der Elektrizität und tat dies mit offenen, freilich
in sich geschlossenen Augen, die Beachtung des StraÃenverkehrs auf ein
MindestmaÃ, ein Ãberlebensmaà reduzierend. Wobei er zwischendurch immer wieder
erschöpft auf einer Bank Platz nehmen muÃte oder sich gegen eine Häuserwand
lehnte. Seine im Laufsport erarbeitete Ausdauer nutzte jetzt nichts. Hier war
eine andere Kondition gefragt. Immerhin konnte er sich solche Pausen gönnen, da
es sich bei seinem Ziel nicht um einen seinerseits bewegten, seinerseits
ständig dem Verkehr ausweichenden Menschen handelte, sondern um ein still auf
seinem Platz stehendes Haus.
Es war bereits spät am Nachmittag, als Lorenz im Rücken
einer Kirche zu halten kam. Er befand sich im Schatten des Turms wie unter
einem breiten Schiffsrumpf. Von der rechten Seite fiel rötliches Licht auf den
mit Pflastersteinen ausgelegten Boden, ebenso auf die Fassaden nahtlos
verbundener alter Häuser. Der Lärm des Verkehrs kam von der Vorderseite der
Kirche. Hier hinten jedoch durften keine Autos fahren, es handelte sich um eine
reine Zone für FuÃgänger und Tauben. Man hätte also auf dieser nicht allzu
langen StraÃe einen Faden zwischen zwei Menschen spannen können, die sich
sodann kaum noch hätten verfehlen, ja die sich beim besten Willen nicht hätten
ausweichen können. Aber welcher Gott wäre so gütig gewesen, zwei
zusammengehörende Menschen zur gleichen Zeit in eine solche Gasse zu führen?
Ein solches GäÃchen, eine Pflastersteinidylle?
Mit Häusern war es da einfacher. Lorenz erkannte es sofort, das
kleine Geschäftslokal in dem mit einem kalten, grauen Rosa bestrichenen
schmalen Gebäude, einem einfachen, glatten Bau, der mit erstaunlicher
Kaltblütigkeit zwischen zwei historische Häuser gezwängt worden war, derart,
daà man den Eindruck bekommen konnte, es handle sich um die simple Füllung
einer Lücke, wie man Fugen mit Polyester füllt oder zwei Tortenteile mit einer
Cremeschichte verbindet. Es war also so, daà Lorenzâ zukünftiger Laden zwar an
einem verträumten, weltfernen Ort lag, aber ausgerechnet im einzigen häÃlichen
Gebäude der StraÃe. Das Lokal selbst bestand nach vorne hin aus zwei kurzen
Auslagenscheiben und einer mittigen Eingangstüre, die alle in einen gemeinsamen
Raum wiesen. Dieser leere Raum war nicht ganz so klein, wie es Lorenz erwartet
hatte. Aber sicherlich klein genug. Ganz abgesehen davon, daà er natürlich
genau die GröÃe besaÃ, die er besitzen muÃte.
Dem oben auf der Fassade angebrachten Schild nach zu urteilen, war
zuletzt eine Bäckerei hier ansässig gewesen.
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