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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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1  |  Der
Fisch im Bett
    Vier Uhr am Morgen.
    Dann, wenn man nicht mehr schlafen kann, aber zu müde für einen Tag
ist, der ja noch gar nicht begonnen hat. Vier Uhr morgens, das klingt nach: Zum Abnehmen zu spät, zum Fettwerden zu früh . Oder wie wenn
jemand sagt: Kinder, ich würde gerne auswandern, nur leider
kann ich meine Schuhe nicht finden . Man könnte somit meinen, das sei
eine schlechte Zeit. Gleichwohl ist es eine gute Zeit. In der sich nämlich über
die Dinge nachdenken läßt, ohne bereits mit einem Fuß und einem Magen und einem
Hirn im neuen Tag zu stehen. Oder noch im alten festzustecken. Es ist mitunter
besser, seine Schuhe nicht zu finden und also nicht auszuwandern und sich statt dessen dem zu stellen,
was ist.
    Genau das tat Lorenz. Während er in seinem Bett wie ein kranker
Schwertfisch dahintrieb, sagte er sich: »Ich habe das alles unendlich satt.«
    Und wie er es satt hatte, sich sein Leben mit…nun, man muß es so
häßlich sagen: sich sein Leben mit Ficken zu verdienen, allerdings mit einem
fiktiven Ficken, auch wenn Lorenz dabei seinen faktischen Körper zum Einsatz
brachte. Aber halt bloß im Film. Als Schauspieler seinen Körper und sein
Geschlecht und seine Potenz zur Schau stellend. Lorenz gehörte folglich zu
denen, die einen sexuellen Akt vorspiegelten und ihn gleichzeitig erhöhten. Und
dabei eine vereinfachte Form von Leben präsentierten. Denn das war es ja
eigentlich, was die Pornographie so attraktiv machte, gar nicht so sehr die
Verbildlichung eines an sich intimen Vorgangs, sondern die unkomplizierten
Rahmenbedingungen. – Worüber so gerne gelacht wird, wie da ein Mann an
irgendeine Tür klopft, sich als Versicherungsmakler vorstellt, die
Zentralheizung repariert, die Post überreicht, so was in der Art eben, um nur
wenig später einer entblößten Frau die Seele aus dem Leib…und so weiter.
    Die Aufgeklärten und Emanzipierten mögen diese Rasanz der
Entwicklung als grotesk empfinden, das ist sie sicher auch, aber wieviel besser
erscheint sie im Vergleich zum umständlichen Theater der Wirklichkeit. Denn
das, was im realen Leben geschieht, ist ja kein respektvolles und charmantes
Werben, kein elegantes Vorspiel, kein kommunikatives Schaulaufen, sondern ein
lächerlicher Eiertanz. Ein Eiertanz, der zur Folge hat, daß, wenn dann endlich
etwas Konkretes geschieht, die ganze Kraft bereits verpufft ist. Eigentlich
auch die Lust. Der sexuelle Akt verkümmert zur bloßen Pflichterfüllung. Er
geschieht nur darum noch, um besagten Eiertanz zu rechtfertigen: das neue
Kleid, die teure Unterwäsche, den Restaurantbesuch, die ganze aufwendige
Angeberei, die Lügen, die Fettabsaugung, die seit Wochen umsonst
mitgeschleppten Präservative, den Sport, die Vitamine, nicht zuletzt die aus
der Pornographie bezogenen Illusionen. Denn allein die Pornographie schafft es,
uns solche Illusionen zu vermitteln, Illusionen vom gelungenen Sex. Die
Psychologie hingegen läßt keinen Zweifel darüber, daß die Sache zum Scheitern
verurteilt ist, daß der Zweck der Sexualität sicher nicht darin besteht, daß
alle ihren Spaß haben. Ganz im Gegenteil. Der Sinn der »echten« Sexualität
reflektiert die Verhältnisse der Welt, den irdischen Hang zum Gefälle, zum
Nord-Süd, zum Groß-Klein, zum Gescheit-Blöd, Arm-Reich, Glücklich-Unglücklich,
Giftig-Ungiftig.
    Lorenz Mohn war gewissermaßen ein Märchenonkel der Sexualität, indem
er in den Filmen, in denen er auftrat, nicht nur ungewöhnlich ausdauernd und
erfolgreich agierte, sondern die Sache eben ohne die bekannten Umständlichkeiten
einfädelte. Seine gespielte Ausdauer, seine gespielte Potenz ergaben sich
folgerichtig aus der Schnelligkeit der Anbahnung – so blieb nämlich genug Zeit
für das Wesentliche –, während im wirklichen Leben die erschöpfende Länge
solcher Anbahnungen wie auch die ewige Diskutiererei darüber, wer was wie
möchte, für den eigentlichen Akt kaum noch Zeit und Kraft lassen. Der Mensch
ermattet in der Diskussion. Man kann also nicht immer sagen, daß die Erfindung
der Sprache ein großes Glück darstellt. Es besteht ein deprimierendes
Ungleichgewicht. Während etwa im Krieg zuwenig gesprochen wird, wird im Sex
zuviel gesprochen.
    Er war jetzt beinahe vierzig. Ein im Grunde hohes Alter
für einen Pornodarsteller. Allerdings war er

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