Gewitterstille - Kriminalroman
sagte Petra Kessler gedehnt.
»Jetzt reicht es aber wirklich! Ich empfinde tiefes Mitgefühl für das, was Sie durchmachen, aber ich lasse mich von Ihnen wahrlich nicht beschuldigen, Ihre Mutter beklaut zu haben. Sie gehen eindeutig zu weit. Ich habe schon lange einen Schlüssel zum Haus Ihrer Mutter, um für den Fall, dass morgens die Rollläden mal nicht hochgehen, nachzuschauen, ob es ihr gut geht. Das war der ausdrückliche Wunsch Ihrer Mutter, die ich übrigens sehr gemocht habe, nur deshalb habe ich den Schlüssel überhaupt angenommen.« Anna sah Petra Kessler mit einem Blick an, der keinen weiteren Kommentar zuließ.
»Vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung«, setzte Sophie erneut an. »Ihre Mutter könnte das Stück doch weggegeben haben, um eine Expertise anfertigen zu lassen, oder die Dose ist tatsächlich runtergefallen und wird gerade irgendwo restauriert.«
Anna musste anerkennend feststellen, welch schnelle Auffassungsgabe Sophie besaß und mit welcher Reife sie den Sachverhalt reflektierte. Sie besaß fraglos das gleiche analytische Verständnis und offenbar auch eine kriminalistische Begabung, wie ihr Vater sie besessen hatte.
»Selbst wenn sie die Dose irgendwohin gegeben hat – die Münzen bleiben immer noch verschwunden«, sagte Frau Kessler.
»Ich schlage vor, dass Sie zunächst noch einmal alles gründlich durchsehen«, sagte Anna. »Vielleicht finden sich die Sachen tatsächlich wieder, oder – was natürlich unerfreulich wäre – Sie stellen fest, dass noch andere Dinge abhandengekommen sind. Wenn Sie Hilfe brauchen bei der Anzeigenerstattung oder noch irgendwelche Fragen haben, helfe ich Ihnen gern.«
Petra Kessler ließ sich nun immerhin zu einem Dankeschön herab. Die Kopfwäsche hatte ihr offenbar ganz gutgetan.
»Wer könnte meine Mutter denn bestohlen haben?«
Anna zuckte mit den Schultern. »Theoretische Möglichkeiten gibt es viele. Eine Nachbarin, ihr Arzt, ein Handwerker, der Fensterputzer, ein Mitarbeiter des Pflegedienstes …«
»Der auf keinen Fall!«, widersprach Sophie mit einer Heftigkeit, die Anna aufhorchen ließ. Ganz offenbar hatte ihr Instinkt sie nicht getäuscht, und Sophie war tatsächlich an dem Jungen interessiert. Sie nahm sich vor, bei Gelegenheit mehr darüber herauszufinden.
Anna manövrierte Petra Kessler in Richtung Haustür. »Versuchen Sie jetzt erst einmal zur Ruhe zu kommen. Alles andere überdenken wir im nächsten Schritt.«
»Was für ein Auftritt!«, sagte sie kopfschüttelnd zu Sophie, als sie in die Küche zurückgekehrt war.
»Eine absolut unmögliche Frau«, pflichtete Sophie bei. »Ich finde es gut, dass du ihr die Meinung gesagt hast. Ich habe richtig Respekt vor dir bekommen, als du sie in die Mangel genommen hast. Ausgerechnet dich zu verdächtigen, wo du doch Staatsanwältin bist.«
»Es ist in der Tat eine Unverschämtheit, dass sie mich verdächtigt, wenngleich der Beruf noch keine Garantie für Redlichkeit ist.«
»Könnte es peinlich für dich werden, wenn sie eine Anzeige erstattet?«
»Keine Ahnung, aber mach dir deswegen bitte keine Sorgen. Wenn Frau Möbius wirklich bestohlen wurde und die Kessler Anzeige erstattet, wird sich deshalb wohl nicht meine ganze Behörde das Maul darüber zerreißen, dass ich möglicherweise meine Nachbarin beklaut ha ben könnte. Und wenn doch, kann ich es eben auch nicht ändern.«
»Kein Mensch wird so etwas von dir denken!«
»Das ist nett, dass du das sagst.« Anna war gerührt, dass Sophie sich so für sie einsetzte. Vielleicht war der ganze Ärger doch zu etwas nütze und brachte Sophie ihr ein wenig näher.
»Ich finde, wir reden einfach kein Wort mehr mit der Kuh«, sagte Sophie trotzig.
»Einverstanden. Ich muss allerdings herausfinden, ob Frau Möbius wirklich bestohlen wurde, und wenn das so ist, kann ich nur hoffen, dass wir den Dieb finden werden.«
9. Kapitel
A nna ließ die Arme über die Lehnen ihres antikenSchreibtischstuhls fallen und blickte ungläubig auf die Zeitanzeige ihres Laptops. Es war fast drei Uhr morgens. Bald würde es wieder hell werden. Plötzlich fühlte sie sich unendlich müde. Sie schob das Gerät von sich weg, stützte die Ellenbogen auf dem kleinen Sekretär ab, der im Wohnzimmer stand, und ließ ihren Kopf auf ihre Hände sinken.
Ich muss ins Bett, dachte sie und rieb sich die Augen. Sie hatte Stunden damit verbracht, mithilfe des Internets Händler ausfindig zu machen, die mit dem An- und Verkauf von Antiquitäten, speziell
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