Gewitterstille - Kriminalroman
einen sehr engen Kontakt zu seiner Schwiegermutter gehabt.«
»Engen Kontakt?« Anna runzelte die Stirn. »Ich dachte, Frau Möbius hätte selbst ihre Tochter kaum gesehen. Warum dann ausgerechnet den Schwiegersohn?«
»Das ist eine lange Geschichte. Damit will ich Sie nicht langweilen.«
»Sie langweilen mich überhaupt nicht. Wie ist denn der Mann von Frau Kessler so?«
»Er ist ganz wunderbar, wenngleich Luise ihn zunächst überhaupt nicht mochte. Da gab es eine ganz furchtbare Geschichte damals.«
Zu Annas Verblüffung wurde die alte Frau wieder ganz blass. Sie schien das Gesagte plötzlich zu bereuen.
»Was denn für eine Geschichte?«, bohrte Sophie nach. Wie jedes junge Mädchen interessierte sie sich brennend für Liebesgeschichten, und die Andeutungen von Frau Martin hatten es offenbar geschafft, sie aus ihrer eigenen Gedankenwelt zu lösen.
»Ach, was soll’s? Er war eben ein dummer Junge.« Frau Martin war anzusehen, dass sie nicht gern weitererzählen wollte. »Er hat allerhand Unsinn getrieben und Petra als Teenager schlimme Streiche gespielt«, sagte sie vage. »Richtig grausam war er zu ihr, nur weil sie ein wenig pummelig war.« Frau Martin schüttelte bei der Erinnerung den Kopf.
»Wie gemein«, empörte sich Sophie. »Und den hat sie auch noch geheiratet?«
»Ja. Aber natürlich erst viel später. Sie sind sich nach Jahren auf einem Klassentreffen nähergekommen.«
Anna musste über Sophies entgeisterten Gesichtsausdruck fast ein wenig schmunzeln. Gleichzeitig fragte sie sich, wie oft Sophie wohl selbst schon aufgrund ihrer Behinderung gehänselt worden war.
»Menschen ändern sich, Sophie. Jungs sind in einem gewissen Alter fast durchweg grässlich«, sagte sie mit einem ratlosen Schulterzucken. Dann wandte sie sich noch einmal an Frau Martin: »Aber warum hatten denn Frau Möbius und ihr Schwiegersohn später einen so engen Kontakt?«
»Das erzähle ich Ihnen ein anderes Mal«, wich die alte Dame aus. »Ich möchte jetzt langsam aufbrechen, es war ein langer Tag.«
Anna war ganz entsetzt, wie mitgenommen Frau Martin plötzlich wieder wirkte. Deshalb verdrängte sie ihre Neugier und stand eilig auf, um der alten Frau Schirm und Mantel zu holen.
8. Kapitel
D as aufrichtige Mitgefühl, das Anna empfand, weil Petra Kessler ihre Mutter verloren hatte, verflog sofort, als sie sah, mit welch kühler Abgeklärtheit diese nur einen Tag nach der Beerdigung deren Hausstand überprüfte.
Sie stand in der Wohnstube, betrachtete die volle Anrichte und schüttelte den Kopf.
»Das Beste wird sein, eine Entrümpelungsfirma mit dem Abtransport des ganzen Plunders zu beauftragen.«
Petra Kessler sprach über die Hinterlassenschaft ihrer Mutter, als handele es sich um das Vermächtnis einer Fremden. Und tatsächlich wirkte sie in dem gemütlichen Haus mit seinen unzähligen Porzellanfiguren, den Brokat deckchen und Samtbezügen wie ein Fremdkörper. Mit ihrer Gucci-Sonnenbrille im Haar und dem weißen, zwei felsohne sehr teuren Hosenanzug sah sie auch an diesem Morgen aus wie eine Besucherin der Pariser Modewoche. Sie hatte die Nacht in einem kleinen Hotel verbracht und wollte offenbar keinen weiteren Tag verstreichen lassen, um den Nachlass ihrer Mutter zu ordnen.
»Ich fand die Vorliebe Ihrer Mutter für Kitsch und Porzellan immer sehr sympathisch.«
»Tatsächlich«, sagte Petra Kessler bissig. »Immerhin sind einige der Stücke sehr wertvoll. Ich werde also erst einmal aussortieren müssen, was sich gut verkaufen lässt.«
Der Tonfall, in dem Petra Kessler sprach, machte sie Anna immer unsympathischer. Wehmütig dachte sie an ihre eigene Großmutter zurück, für die allein der Gedanke, dass man ihren Hausstand nach ihrem Tod verkaufen würde, immer schier unerträglich gewesen war. Anna war froh, viele Gegenstände aus dem Haushalt ihrer Oma und Teile ihres Schmucks zu besitzen, die sie an sie erinnerten.
»Also, ich hätte durchaus Interesse, das eine oder andere Stück zu erwerben, sofern Sie nichts dagegen haben.« Anna ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie fand viele der Dinge, die ihre Nachbarin gesammelt hatte, wunderschön. Die alten Römergläser in der rustikalen Vitrine gefielen ihr ebenso wie die bemalten Teller, die Frau Möbius neben einigen Porzellanfiguren auf ihrer Fensterbank aus Jade dekoriert hatte.
Petra Kessler maß Anna mit einem Blick, der aus deren Sicht an Arroganz kaum zu überbieten war.
»Woran hatten Sie denn zum Beispiel gedacht?«
»Die
Weitere Kostenlose Bücher