Nachschrift zum Namen der Rose
1. Auflage April 1986
8. Auflage Februar 1987: 203. bis 252. Tausend
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,
München
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung
des Carl Hanser Verlags, München Wien
©1983 Umberto Eco, Mailand
Titel der italienischen Originalausgabe:
>Postille a ,Il nome della rosa'<
©1984 der deutschsprachigen Ausgabe:
Carl Hanser Verlag, München • Wien
ISBN 3-446-14037-9
Umschlaggestaltung: Celestino Piatti
Umschlagbild: Rotraut Susanne Berner
Gesamtherstellung: C. H. Beck'sche Buchdruckerei,
Nördlingen
Printed in Germany • ISBN 3-423-10552-6
Inhalt
Titel und Sinn 9
Den Arbeitsprozeß erzählen 17
Natürlich, das Mittelalter 21
Die Maske 27
Der Roman als kosmologischer Akt 31
Wer spricht? 38
Die Paralipse 44
Der Atem 49
Den Leser schaffen 55
Die Metaphysik des Kriminalromans 63
Die Unterhaltung 69
Postmodernismus, Ironie und Vergnügen 76
Der historische Roman 85
Zum Schluß 90
Anmerkungen für den deutschen Leser 93
Zu den Abbildungen 96
Zum Schluß 90
Rosa que al prado, encarnada,
te ostentas presuntüosa
de grana y carmín bañada:
campa lozana y gustosa;
pero no, que siendo hermosa
también serás desdichada.
sor Juana Inés de la Cruz'
l »Ich sah einen Thron, der gesetzt war im Himmel, und auf
dem Thron saß Einer, und Der Da Saß, war streng und erhaben
anzusehen, die weitgeöffneten Augen blickten funkelnd auf eine
ans Ende ihrer irdischen Tage gelangte Menschheit...« (Adson
von Melk in Der Name der Rose, S. 57 ff.)
Titel und Sinn
Seit ich den Namen der Rose geschrieben habe, bekomme ich
häufig Briefe von Lesern, die wissen möchten, was der latei-
nische Schlußsatz bedeute und warum das Buch gerade ihm
seinen Titel verdanke. Ich antworte hiermit: Es handelt sich um
einen Hexameter aus De contemptu mundi2 von Bernardus
Morlanensis, einem Benediktiner des 12.Jahrhunderts, der über
das Thema »Ubi sunts variiert, wobei er den geläufigen Topos
— »Wo sind sie, die Großen von einst, die ruhmreichen Städte,
die schönen Damen? Alles schwindet dahin. ..« (oder wie es
später Villon formulierte: »Mais où sont les neiges d'antan?« 3)
— lediglich um. den Gedanken erweitert, daß uns von all den
verflossenen Herrlichkeiten nur nackte Namen bleiben. Ich
erinnere daran, daß Abaelard den Satz »Nulla rosa est«.4 als
Beispiel benutzte, um zu zeigen, wie die Sprache sowohl von
vergangenen Dingen als auch von inexistenten sprechen kann.
Damit überlasse ich es dem Leser, seine Schlüsse zu ziehen.
Ein Erzähler darf das eigene Werk nicht interpretieren,
andernfalls hätte er keinen Roman geschrieben, denn ein Roman
ist eine Maschine zur Erzeugung von
Interpretationen. Doch eins der Haupthindernisse bei der Ver-
wirklichung dieses noblen Vorsatzes ist gerade der Umstand,
daß ein Roman einen Titel braucht.
Ein Titel ist leider bereits ein Schlüssel zu einem Sinn.
Niemand kann sich den Suggestionen entziehen, die von Titeln
wie Rot und Schwarz oder Krieg und Frieden ausgehen. Am meisten Respekt vor dem Leser bezeugen Titel, die sich auf den
Namen des Helden beschränken, wie David Copperfield oder
Robinson Crusoe, aber auch der Verweis auf die Hauptfigur
kann eine ungebührliche Einmischung seitens des Autors sein,
etwa wenn Balzac mit Vater Goriot die Aufmerksamkeit des
Lesers auf die Person des Alten lenkt, obgleich der Roman auch
das Epos von Rastignac und von Vautrin alias Collin ist. Viel-
leicht sollte man ehrlich unehrlich sein, wie Dumas Pére, der
kein Hehl daraus macht, daß sein Roman Die drei Musketiere in
Wahrheit die Geschichte des vierten erzählt. Aber dergleichen
ist rarer Luxus, den sich ein Autor wohl nur aus Versehen
erlauben kann.
Mein Roman trug zunächst den Arbeitstitel Die Abtei des
Verbrechens. Ich habe ihn verworfen, denn er fixierte die
Aufmerksamkeit des Lesers allein auf die Kriminalhandlung
und war geeignet, bedauernswerte, ausschließlich auf harte
Reißer erpichte Käufer zum Erwerb eines Buches zu verführen,
das sie enttäuscht hätte. Mein Traum war, das Buch einfach
Adson von Melk zu nennen. Ein sehr neutraler Titel, denn
Adson war ja immerhin das Erzähler-Ich. Aber Eigennamen als
Titel sind bei unseren Verlegern nicht sehr beliebt,
10
sogar Fermo e Lucia ist umbenannt worden5, und sonst gibt es
in der italienischen Literatur nur sehr wenige Beispiele wie
Lemmonio Boreo, Rubé oder Metello6 - verschwindend wenige gegenüber den
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