Gewitterstille - Kriminalroman
erste große Krise«, erzählte Anna weiter, »der Anfang vom Ende sozusagen. Und da ist es einfach so passiert.«
»Was meinst du mit so passier t ?«, fragte Sophie und legte ihr Brot zurück auf den Teller. »So was kann doch nicht einfach so passieren. Ich meine, ihr müsst doch irgendwas füreinander empfunden haben, oder nicht?«
»Wie gesagt: Das war alles damals nicht so einfach. Mir ging es ehrlich furchtbar und …« Anna brach ab.
»Was und? Erzähl doch mal ein bisschen. Ich sag es auch bestimmt nicht weiter.«
Anna nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas, bevor sie sich entschloss weiterzuerzählen.
»Du weißt doch, dass Georg und ich schon zu Studienzeiten zusammengewohnt haben?« Sophie nickte. »Wir waren immer die besten Freunde, und ehrlich gesagt hätte ich mich damals auch gehütet, ausgerechnet was mit Georg anzufangen. Er war ziemlich beliebt und nicht unbedingt das, was man ein Kind von Traurigkeit nennt.«
»Das glaube ich gern«, sagte Sophie, die Anna gegenüber zwar immer wieder betonte, wie steinalt sie Georg fand, aber dennoch durchaus imstande war zu erkennen, dass er ein sehr attraktiver Mann war.
»Ich habe Georg damals besucht. Er hatte versprochen, wie in Studentenzeiten für mich zu kochen. Sabine, seine Frau, war mit den Kindern verreist. Sie suchten wohl gerade Abstand zueinander oder so was in der Art. Ich bin jedenfalls total durchnässt in seinem Haus angekommen und brauchte dringend trockene Sachen. Georg hat mir dann eins von seinen Hemden rausgesucht und mir ein Bad eingelassen, damit ich mich aufwärmen konnte.«
»Na, na, na!« Sophie grinste. »Ein Bad eingelassen? Ich muss schon sagen.«
Anna wurde gegen ihren Willen rot. »Warum erzähle ich dir das alles überhaupt? Wir sollten uns jetzt noch mal ein paar Stunden aufs Ohr legen, oder besser gesagt, ich sollte das tun, bis Emily aufwacht. Du kannst ja bis in die Puppen schlafen.«
»Seid ihr denn dann gar nicht zusammen gewesen?«, ließ Sophie nicht locker. »Eine Nacht und aus?«
»Wir wussten, glaube ich, beide damals nicht, was wir wollten. Georg hatte ja immerhin auch eine Familie, die er nicht ohne Weiteres aufgeben wollte. Ich wusste natürlich auch erst gar nicht, dass ich schwanger bin. Woher auch! Die Ärzte haben mir damals gesagt, dass ich wohl nie wieder schwanger werden würde. Ansonsten wären wir sicher auch nicht so unvernünftig gewesen.«
»Wahrscheinlich sollte es so sein«, sagte Sophie, und in ihrem Ausdruck lag eine jugendliche Verzücktheit, die Anna irgendwie rührend fand. »Dein Leben ist wie in Verbotene Liebe . Ich beneide dich!«
Anna musste über den Vergleich ihres Lebens mit einer Daily Soap herzlich lachen und verschluckte sich an dem Wein.
»Du machst mir Spaß«, prustete sie. »Ich wünschte mir für mein Leben ein bisschen weniger Drama.« Es entstand eine kleine Pause, in der Anna Sophie forschend ansah.
»Wie steht es mit dir? Gibt es jemanden?«
Während Sophie gerade noch offen und mitteilsam gewirkt hatte, musste Anna nun enttäuscht feststellen, dass sie sich wie gewohnt wieder in ihr Schneckenhaus zurückzog, sobald Anna sie auf etwas Persönliches ansprach.
»Nee, Quatsch«, sagte sie und schlug die Augen nieder.
»Dieser Junge, ich meine, dieser Jens – interessierst du dich für den?«
Sophie verschränkte die Arme vor der Brust und schien geradezu erschreckt über diese Frage zu sein.
»Nee.«
»Du bist echt lustig, Sophie. Ich liefere dir hier einen erstklassigen Seelenstriptease, und wenn ich einmal etwas von dir wissen will, verrätst du mir kein einziges Wort. Ich möchte wirklich gern eine Freundin für dich sein oder vielleicht so etwas wie eine Schwester, weißt du.« Es dauerte eine Weile, bevor Sophie antwortete.
»Manchmal führst du dich auf wie eine neugierige Mutter.«
Anna entschloss sich, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. »Denkst du eigentlich oft an deine Mutter? Ich meine, interessiert es dich nicht zu erfahren, wer sie ist? Vielleicht solltest du sie doch kennenlernen?« Sophie sah Anna nicht einmal an, sondern blickte stur in den Garten hinaus, als hätte sie sie nicht gehört.
»Weißt du, als ich Marie damals verloren habe«, wagte Anna einen erneuten Vorstoß, »habe ich gehofft, auf der Stelle tot zu sein. Und heute bin ich dankbar für jeden Tag, den ich lebe und an sie denken kann. Manchmal stelle ich mir vor, wie sie mit Emily spielt, und wenn ich Emily Sachen kaufe, schaue ich manchmal nach, ob es das Kleid auch
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