Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
ihn wieder. Er lallte etwas, zuckte, setzte sich auf und erbrach sich, leider genau übers Telefon. Dieser Apparat hat dann nie mehr ganz störungsfrei funktioniert. Ich durfte alles aufputzen, denn meine feinen Schüler ekelten sich vor Erbrochenem, und schließlich war es ja auch meine Wohnung. Dann lief ich zur Telefonzelle an der Ecke und rief Stefans Vater an, der wenig begeistert kam, um seinen Sohn abzuholen
«Selbst schuld, wenn er eine halbe Flasche Schnaps auf ex trinkt», nuschelte Silvia, die auch nicht mehr ganz nüchtern wirkte. Ich war geschockt. Wir hatten doch ausdrücklich verabredet, keinen Schnaps zu trinken!
Und nicht zu rauchen! Aber jetzt qualmte es in jeder Ecke.
Ich fürchtete um meinen Besitz, ein Brandloch in der Couch hatte ich schon entdeckt. Das wollte natürlich keiner gewesen sein.
Gegessen wurde wenig, dafür wild getanzt – und viel rein- und rausgerannt. Da draußen musste es etwas Interessantes geben … Leider fand ich erst am nächsten Tag mehrere nunmehr leere Schnapsflaschen unter der Treppe zum Eingang.
Die Party verlief noch turbulent, aber viel kürzer als geplant. Sehr bald musste ich wieder zur Telefonzelle sprinten und zwei weitere Väter herbeizitieren. Diese übernahmen ihre betrunkene Nachkommenschaft nur höchst widerwillig – und nicht ohne mich vorwurfsvoll darauf hinzuweisen, dass man als Lehrer doch wohl seinen jugendlichen Gästen nicht gerade harte Spirituosen verabreichen sollte.
Zum Schluss saß ich nur noch mit Hülya, Zarah und Zeynep zusammen in der Küche. Wir hatten ein wenig aufgeräumt und warteten auf Hülyas Bruder, der die drei abholen sollte. Die Mädels waren albern, aber nüchtern, und ich dankte im Stillen dem Islam für sein Alkoholverbot.
Die Wohnung war übrigens in einem beklagenswerten Zustand. Sie musste sozusagen neu angelegt werden.
Ulf hatte recht.
Wir haben fertig!
Das neunte Schuljahr ist vorbei, heute war der letzte Schultag! In einem Jahr werden sie entlassen. Unglaublich! Aber daran dachte, glaube ich, außer Karl und mir niemand.
Jugendliche leben im Hier und Jetzt. Also schmierte man sich ungerührt leckere Brötchen und aß Kuchen, Tomaten, Chips, Süßigkeiten und Oliven, denn es gab wie immer vor den Zeugnissen erst mal ein stärkendes Frühstück. Das klappt mit unserer verfressenen Klasse voll gut. Nach dem dritten Brötchen hörte ich bei Ömür auf zu zählen – und aß aus Verzweiflung lieber selbst noch ein Stück Kuchen. Sogar die Sitzenbleiber, die alle bei uns bleiben, entwickelten einen gesunden Appetit.
Dann guckten wir uns mal wieder herrliche, mit Musik unterlegte Fotos an (Karls Werk), und ich kriegte einen Tadel, weil ich meine Fotos noch immer nicht bearbeitet hatte. Dafür habe ich, überlegte ich, so viel über euch geschrieben. Vielleicht lese ich die eine oder andere Geschichte nächstes Jahr mal vor.
Die Zeugnisausgabe ging flott über die Bühne, bloß Aynur und Hanna trampelten uns mit ihrem ständigen «Sind wir jetzt endlich fertig?» auf den Nerven herum. Na, ich an eurer Stelle hätte mich nicht darum gerissen, mit diesen Zeugnissen nach Hause zu kommen …
Die Verabschiedung fiel ziemlich dürftig aus.
Ferien! Alle stürzten aus dem Klassenraum.
«Tschüs, Nesrin und Aynur!»
Ein paar Küsschen rechtslinksrechts.
«Ich werd Sie vermissen, Frl. Krise.»
«Ich dich auch, Nesrin.»
Eine flüchtige Umarmung mit Emre und ein Händedruck: «Ömür, mach’s gut! Pass auf dich auf!»
«Tschüs, Herr Wolf und Frl. Krise!»
«Schöne Ferien!»
Und schon waren sie über alle Berge.
Karl und ich schlossen ab und trödelten die vier Stockwerke nach unten.
Mann, war das ein anstrengendes Jahr. Aber wir wollten keine Bilanzgespräche mehr führen.
«Wir haben Ferien!»
«Echt?»
«Ich kann’s nicht glauben.»
«Morgen geh ich noch mal kurz in die Schule, muss noch ein paar Sachen erledigen.»
«Ich vielleicht auch.»
Ferien!
FERIEN!
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In den Sommerferien
Fast schließt sich der Kreis …
An einem verregneten Tag in den Sommerferien spaziere ich ein bisschen auf meiner Facebook-Seite auf und ab. Meine Schüler posten die üblichen dummen Sprüche, Bilder und Filmchen – die meisten scheinen nichts Sinnvolles zu tun zu haben. Wie ich.
Dann aber stolpere ich über die Nachricht von einem Gerd: «Frl. Krise, ich freue mich, dass ich Sie gefunden habe!»
Gerd? Wer soll das sein? Der Name sagt mir nichts.
Aus Langeweile frage ich nach: «Hallo? Wer
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