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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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ist mehr eine Handtasche, hellblaues Krokoimitat. Weit geöffnet liegt sie da, nur ein paar Kosmetikartikel bedecken den Boden der Tasche, mit Schulsachen belastet sich die Dame offensichtlich nicht.
    Mit einem Aufschrei werfe ich die Fackel in die Tasche.
    Uff!
    Jetzt schreit Gülten: «Oh, mein Gott! Oh, mein Gott, oh, mein Gott!»
    Aber kein Gott erscheint, bloß Emre springt auf, schnappt sich die Tasche und befördert ihren ganzen Inhalt plus Feuerchen ins Waschbecken.
    «Oh, mein Gott, Frl. Krise, was haben Sie gemacht? Oh, mein Gott, meine Tasche!» Gülten kriegt sich gar nicht mehr ein.
    Nach einer kurzen, aber knackigen Strafpredigt räume ich mit Getöse einen Schrank auf. Ehrlich gesagt habe ich auch ein schlechtes Gewissen, weil ich ja aus der Klasse rausgegangen bin. Ich muss mich bewegen, denke ich, das Adrenalin muss abgebaut werden, eines Tages bekomm ich hier noch einen Herzschlag! Gleichzeitig muss ich ein Gelächter unterdrücken. Feuer in der Handtasche! Und wie Gülten mich angeguckt hat!
    Es ist mucksmäuschenstill.
    «Frl. Krise, Sie sind aber …» Ömür grinst, dann schweigt er.
    «Was meinst du, Ömür?»
    «Ach, nichts!»
    Es klingelt. Alle räumen wie der Blitz auf, legen ihre Bilder auf meinen Tisch und stürmen nach draußen. Nur Gülten bleibt da. Langsam legt sie ihr Bild auf den Tisch. Ich schaue sie nicht an, Strafe muss sein.
    «Tschüüüüs, Frl. Krise, schönen Tag noch», sagt sie leise und tippt zart mit dem Zeigefinger auf meinen Arm.

Zwölf Stunden in zwölf Klassen
    Der stellvertretende Schulleiter der Gesamtschule-Süd war begeistert. Vielleicht nicht direkt von mir – er kannte mich ja noch nicht –, aber von meinen Fächern.
    «Kunst! Ah! Sie unterrichten Kunst!», sagte er und rieb sich die Hände. «Sehr schön!»
    Die Schule, die im Zentrum einer mittelgroßen Stadt in Hessen lag, hätte, wie ich erfuhr, zurzeit nur einen einzigen Kunstlehrer, der in der gymnasialen Oberstufe eingesetzt sei. «Sie hat uns der Himmel geschickt, Frl. Krise! Und das ist ab heute Ihr Zeichen.» Er zeigte mir ein daumennagelgroßes weißgrundiges Plättchen mit einem braunen Gitter darauf, danach trat er an den wandgroßen Stundenplan. Alle Unterrichtsstunden wurden da durch solche Plättchen angezeigt, jeder Lehrer hatte ein anderes.
    «Zwölf Stunden müssen Sie als Referendarin unterrichten», überlegte er laut. «Das heißt, Sie können gut und gerne in zwölf Klassen jeweils eine Stunde Kunst geben.» Und schon steckte er mit geübter Hand die Gitterplättchen in zwölf Klassen.
    «Aber …», stammelte ich. «Nein … Nur Kunst, das geht nicht. Ich habe doch auch noch Biologie!»
    «Später», sagte der stellvertretende Schulleiter und rückte meine Stundensymbole schön gerade. «Später, Frl. Krise.»
    Wir schrieben das Jahr 1973, ich war fünfundzwanzig Jahre alt, seit einer Woche Referendarin, voller Tatendrang und pädagogisch völlig unbedarft. Aber ich glaubte zu wissen, was ich erreichen wollte: Ich war bereit, meine Schüler – so wie ich es im Studium gelernt hatte – zu kritikfähigen und selbstbestimmten Menschen zu erziehen. Dabei würde ich auf keinen Fall autoritär mit ihnen umgehen.
    Autoritär! Das Schreckenswort jener Zeit. Ein moderner Lehrer durfte alles Mögliche sein, aber niemals und unter keinen Umständen autoritär. (Ich ahnte damals nicht, dass es für mich in den nächsten Monaten hauptsächlich darum gehen würde, mich auf kleine Inseln meiner eigenen Selbstbestimmung zu retten.)
    Unsere Professoren an der Uni hatten uns versichert, dass Kinder freiwillig, freudig und selbständig arbeiten, wenn man auf ihre Bedürfnisse eingeht und Kritik zulässt. Komischerweise schienen aber meine Schüler, auf die ich wenige Tage später stieß, bisher nichts von zeitgemäßer Erziehung gehört zu haben. Ihnen war es egal, dass ich jung und modern war und spannende neue Methoden einführen wollte. Sie nutzten vom ersten Moment an meine Unerfahrenheit gnadenlos aus, um im Unterricht herumzurennen, zu schreien, sich mit Wasser zu bespritzen, Farbe zu verkleckern, freche Widerworte zu geben und nicht aufzuräumen. Ich verzweifelte langsam. Was waren das nur für Kinder?
    Bei meinen autoritären Kollegen schienen die Stunden ganz anders abzulaufen. Ich wusste zwar nicht genau, wie, aber aus ihren Räumen hörte ich, wenn ich hinter entflohenen Schülern durch die Flure fegte, kaum einen Laut.
    Frau Horn zog in der Pause gelassen an ihrer Ernte 23 –

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