Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
sprossen ein paar fusselige Strähnen. Als hätte er sich die Haare vom Rücken auf die Glatze transplantieren lassen. Anne fühlte sich wie in eine Gruft gesperrt.
Ein kleines Teufelchen wurde in ihr wach. Frag die Herren doch mal, ob sie noch sexuell aktiv sind, wisperte das Teufelchen. Dank Viagra war ja alles möglich, das wusste Anne aus ihrem Job. Die Kerle standen in der Praxis nur so Schlange, um ihrer schwächelnden Männlichkeit einen kräftigen Schub zu verpassen.
Unruhig spielte sie mit dem Silberbesteck, während sie das festliche Arrangement musterte. Der Tisch bog sich unter feinstem Porzellan, geschliffenen Kristallgläsern und Gestecken aus weißen Lilien. Beerdigungsblumen, dachte Anne, wie passend. Wenn heute Nacht nichts passiert, habe ich’s nämlich amtlich: lebendig begraben in einer sexfreien Ehe.
Ihr Tischnachbar mit der Notfrisur beugte sich zu ihr herüber. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Klaus von Bernstorff. Ich bin der Seniorpartner der Kanzlei.«
Etwas klingelte bei Anne. Gesichter konnte sie sich nicht gut merken, aber Namen frästen sich tief in ihr Gedächtnis. Woher kannte sie Klaus von Bernstorff?
»Angenehm«, murmelte sie und reichte ihm die Hand. »Ich bin Anne Westheimer. Mein Mann arbeitet in der Kanzlei von Herrn Huber. Als Spezialist für Unternehmensrecht.«
»Sieh an, da hat Ihr Herr Gemahl aber eine gute Wahl getroffen.« Unverhohlen ließ Bernstorff seine Augen über Annes Kleid wandern, dann senkte er verschwörerisch die Stimme. »Wissen Sie eigentlich, dass Sie die Königin des Abends sind? Die schönste und – wenn ich so sagen darf – erotischste Frau an diesem Tisch?«
»Ich?« Anne hatte sich nie für etwas Besonderes gehalten. Diese Charlotte Stark, Joachims Kollegin – ja, die war ein echter Schuss, der den Puls der Männer beschleunigte. Verglichen mit der Anwältin war sie selbst absoluter Durchschnitt, fand Anne. Und überhaupt, wie kam dieser wildfremde Mann darauf, ihr solch ein freches Kompliment zu machen? Die erotischste Frau am Tisch, na, guten Morgen. Was sollte das denn werden?
Er zwinkerte ihr vertraulich zu. »Wenn Sie nicht verheiratet wären, könnte ich leicht auf dumme Gedanken kommen.«
Anne starrte in seine lüstern funkelnden Augen. Wieder klingelte etwas. Und plötzlich fiel ihr ein, woher sie seinen Namen kannte: aus der Patientendatei. Klaus von Bernstorff war einer der Männer, die sich ganze Familienpackungen Viagra verschreiben ließen. Offenbar hatte er Anne nicht erkannt. Im weißen Kittel und ohne elegante Aufmachung war sie natürlich auch wesentlich unauffälliger.
Erwartungsvoll sah er sie an. Zum Glück wurde gerade dererste Gang serviert, ein winziges Stück Fischfilet in einer bräunlichen Tunke.
»Das ist Zander in einem zehn Jahre gereiften Sake«, erklärte die Gastgeberin mit lauter Stimme. »Eine exquisite Köstlichkeit aus dem Land der aufgehenden Sonne. Guten Appetit!«
Hermann Huber erhob sein Glas. »Auf meine Frau Gemahlin!«
Während alle den Weißwein kosteten, rückte Klaus von Bernstorff etwas näher. Zu nah für Annes Geschmack. Sie konnte schon sein aufdringliches Aftershave riechen.
»Sagen Sie, Frau Westheimer, kennen wir uns irgendwoher? Vielleicht aus dem Golfclub? Oder vom Skifahren? Waren Sie im Winter in St. Moritz?«
Ich bin doch keine dieser Glamourfrauen, dachte sie. Ich bin nur die Empfangsdame aus der Arztpraxis, die ihren Mann begleitet. Und die kurz davor ist, mit dem Thema Sex abzuschließen. Von wegen Königin des Abends. Sie fühlte sich wie Aschenputtel, die eine Mogelpackung von Prinz erwischt hatte. Außen knackig, innen na ja.
Dabei hatte Joachim sie anfangs um den Verstand gebracht mit seinen enthemmten Zärtlichkeiten, seinen ausgefallenen Ideen. Einmal hatten sie sogar Sex im Kino gehabt. In der hintersten Reihe. Anne spürte auf einmal wieder das Verlangen jener verrückten Tage.
Sie schaute kurz zu Joachim ans andere Ende des Tisches. Er wurde von Frau Huber und dieser elend attraktiven Anwältin belagert, die er lässig bespielte. Er hatte es drauf, keine Frage. Die beiden Frauen hingen an seinen Lippen. Anne dagegen war zur Seniorenbespaßung verdammt. Aber jetzt würdeauch sie mal ein bisschen Spaß haben. Mit ihrem liebenswürdigsten Gesichtsausdruck wandte sie sich an Klaus von Bernstorff.
»Wenn mich nicht alles täuscht, kennen wir uns aus der Praxis von Doktor Arenson«, sagte sie. »Ich arbeite am Empfang.«
Jeder in der Stadt wusste, was der
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