Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
wohl das letzte Mal geküsst worden? Wann hatte sich diese Frau zuletzt den Wonnen einer seligen Liebesnacht hingegeben? Vermutlich im letzten Jahrtausend.
Es gab ja auch genügend Ersatzdrogen. Kampfshoppen und Essengehen zum Beispiel. Für komplett Ausgehungerte kamen Massagen in Betracht. Anne kannte das alles. Frustkäufe und Frustfuttern. Willkommen im Club der Sexlosen, dachte sie erbittert.
»Bevorzugen Sie auch die asiatische Küche?«
Anne fühlte sich ertappt. Unwillkürlich wurde sie rot. Himmel, hoffentlich sah man ihr nicht an, was für lästerlicheGedanken sie hatte! »Also, ja, schon, irgendwie«, stammelte sie verlegen.
Es war die Gastgeberin, die die Frage an Anne gerichtet hatte. Friederike Huber war berühmt für die erlesenen Gerichte, die sie bei ihren Abendessen auftischte. Wie ihr Mann war sie Mitte sechzig, besaß jedoch dank der kosmetischen Chirurgie ein beängstigend straffes Gesicht. Nur ihre welken Hände und ihr Schildkrötenhals verrieten, dass der Kampf gegen das Alter leider nicht zu gewinnen war.
»Ich habe eigens einen Sushi-Meister engagiert«, verkündete sie. »Sein Wasabi ist unerreicht. Und die Algenblätter lässt er extra aus Japan einfliegen!«
Anne war mit ihren Gedanken schon wieder woanders. Eins stand für sie fest: Keine der Frauen hier hatte ein Liebesleben, das diesen Namen verdiente. Oder täuschte sie sich? Am liebsten hätte sie eine kleine Umfrage gestartet: Und, meine Damen? Wie steht es mit dem Sex? Wie oft passiert es, um genau zu sein? Aber das war natürlich völlig unmöglich.
Ein bisschen schämte sie sich dafür, dass sie derart auf ihr neues Thema fixiert war. Unauffällig spähte sie zum Display ihres Handys. Es lag neben Lippenstift und Handspiegel in ihrer kleinen schwarzen Clutch. Keine Nachricht von Tess. Scheint doch nicht so einfach zu sein, Bernd auf Touren zu bringen, dachte Anne ein ganz klein wenig schadenfroh.
Wieder sah sie zu Joachim rüber. Er sprach jetzt mit seiner neuen Kollegin, Frau Dr. Stark. Sie war beunruhigend hübsch. Eine ehrgeizige junge Anwältin, die erst seit kurzem in der Kanzlei arbeitete. Der Typ Frau, den Männer einst »rassig« genannt hatten: dunkle Lockenmähne, feuriger Blick, aufreizend gewölbte Lippen. Ihr hautenges Kleid aus heller Seideumspannte einen makellosen Körper mit auffallend großen Brüsten. Das Klischee eines Männertraums. Auch für Joachim?
Mit dem Instinkt einer wachsamen Ehefrau beobachtete Anne ihren Mann. Er ging ganz schön ran. Stand etwas zu dicht neben seiner Kollegin, lachte etwas zu laut. Ihr wurde mulmig. Lief da was? Andere Gäste schoben sich vor die beiden, und Anne verlor sie aus den Augen. Aber ein Stich im Herzen blieb zurück. War ihre Ehe etwa in Gefahr?
Auf einmal spürte sie eine Hand am Rücken. Joachims Hand. Ein Schauer überlief ihre Haut. Sie drehte sich um und suchte seinen Blick. Ja, sie liebte ihn immer noch. Und sie begehrte ihn, mit der ganzen Sehnsucht ihres Herzens, mit der ganzen Verzweiflung ihres vernachlässigten Körpers.
»Na, amüsierst du dich?«, raunte Joachim ihr zu. »Natürlich«, schwindelte sie. »Ein wunderbarer Abend.«
So viel Teamgeist musste sein. Leider ging ihr nicht aus dem Kopf, wie vertraut Joachim mit diesem verdammten Playmate von Anwältin gesprochen hatte.
» Du bist wunderbar«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. »Der Huber ist ganz vernarrt in dich. Du siehst aber auch allerliebst aus.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Meine süße, wunderbare Frau.«
Wie gern hätte Anne ihn jetzt an der Hand genommen und wäre mit ihm nach Hause gefahren. Einfach so. Hätte ihn wild geküsst und sich ganz langsam von ihm ausziehen lassen, um dann in einen Taumel entfesselter Raserei zu verfallen. So wie früher.
»An was denkst du gerade?«, riss Joachim sie aus ihren Phantasien. Sie wollte ihm schon ihre geheimen Wünsche offenbaren,als Hermann Huber mit einem Teelöffel an sein Glas klopfte.
»Werte Gäste, darf ich zu Tisch bitten? Im Namen meiner Frau wünsche ich uns allen einen schönen Abend.«
Das war’s dann mit den Offenbarungen.
Der Hausherr trat auf Anne zu. »Es ist mir eine Ehre, dass Sie meine Tischdame sind.« Galant legte er eine Hand unter Annes Arm und geleitete sie zu ihrem Platz. Joachim war von der Tischordnung ans andere Ende der Tafel verbannt worden. Nun saß Anne eingeklemmt zwischen dem staubtrockenen Kanzleichef Huber und einem betagten Herrn im dunkelgrauen Anzug. Auf seiner hohen Stirn
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