Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
heißt es Flogger, nicht Flutscher.«
»Nenn es, wie du willst.« Tess lehnte sich in ihrem Korbsessel zurück und verschränkte siegesgewiss die Arme. »Ich gewinne sowieso. Sobald es passiert ist, schicke ich dir eine SMS.«
»Freu dich nicht zu früh!« Anne drohte Tess scherzhaft mitdem Finger. »Heute Nacht schläft Lars bei Joachims Eltern, da habe ich freie Bahn!«
»Na, dann frohe Verrichtung«, lachte Tess. »Aber wetten, dass ich schneller bin?«
***
»Sie sehen bezaubernd aus«, säuselte Dr. Hermann Huber und deutete einen Handkuss an. Geziert zupfte er die silbergraue Seidenkrawatte zurecht, die er zu seinem eleganten schwarzen Anzug trug. »Bezaubernd und schön wie immer.«
Anne lächelte gezwungen. Die Einladungen bei Joachims Chef waren für sie reine Pflichttermine. Meist erwarteten sie langatmige Abendessen an einer festlich gedeckten Tafel, mit Leuten, deren feines Getue ihr ziemlich auf die Nerven ging. Sie trug ein schwarzes Etuikleid, eine Perlenkette und hochhackige schwarze Pumps, so wie es der ungeschriebene Dresscode verlangte. Ihr blondes Haar hatte sie hochgesteckt, um damenhafter zu wirken.
Seit sie die Villa der Hubers betreten hatte, sehnte sie das Ende des Abends herbei. Nicht nur, weil sie dauernd an die schräge Wette mit Tess denken musste. Sondern auch, weil der Tag ziemlich turbulent gewesen war.
Nach ihrem hektischen Aufbruch in »Lorettas Loft« war es Schlag auf Schlag gegangen. Zu Hause angekommen, hatte sie ein weinendes Kind und einen völlig überforderten Vater vorgefunden, dem nichts Besseres eingefallen war, als Lars mit Schokolade vollzustopfen. Den gesamten Nachmittag hatte Anne im Krankenhaus zugebracht, wo die Platzwunde genäht werden musste. Anschließend hatte sie Lars zu ihren Schwiegerelterngefahren, geduscht, sich zurechtgemacht und war mit hängender Zunge gerade noch pünktlich für die Einladung fertig geworden. Jetzt fielen ihr fast die Augen zu.
Joachim dagegen schien sich pudelwohl zu fühlen. Auch er hatte einige Handküsse verteilt und der Dame des Hauses einen übertrieben großen Blumenstrauß überreicht. So ein Prachtbouquet bekam Anne nicht mal zum Hochzeitstag. Wenn Joachim überhaupt daran dachte.
Gerade unterhielt er die Frauen von zwei Kollegen mit Anekdoten, die Anne in-und auswendig kannte. Die Frauen lachten. Ihnen gefiel dieser gutaussehende Mann mit der kunstvoll verstrubbelten Frisur und dem jungenhaften Charme. Joachim sah unverschämt gut aus in seinem dunkelblauen Anzug. Fast wie ein männliches Model. Und nicht wie ein Anwalt für Unternehmensrecht, der die Vierzig längst hinter sich hatte.
Manchmal konnte Anne es selbst kaum glauben, dass sie mit einem so attraktiven Mann verheiratet war. Allerdings ahnte niemand, dass dieser tolle Unterhalter regelmäßig vor dem Fernseher einschlief. Und seine Nächte lieber vor dem Laptop oder mit knatternden Schnarchkonzerten verbrachte, statt seine Frau nach allen Regeln der Kunst zu beglücken.
Das Stimmengewirr rund um Anne schwoll an. Unsicher stand sie inmitten der Gäste in dem weitläufigen Wohnzimmer. Die Absätze ihrer Pumps versanken fast in dem hochflorigen Teppich, dessen unauffälliges Beige perfekt mit der Polstergruppe und den Goldleisten der gläsernen Couchtische harmonierte. Abstrakte Bilder in gedeckten Tönen und edle Wurzelholzregale voller Bücher mit goldgeprägten Lederrücken rundeten das stilvolle Ambiente ab.
Die Gäste hatten Gläser mit Champagner in der Hand und tauschten die üblichen Belanglosigkeiten aus. Ihre Unterhaltungen drehten sich um das angenehm milde Frühlingswetter, den letzten Skiurlaub, die neuesten Restaurants. Keine Gespräche über Politik, Krankheiten oder Religion, hatte Joachim Anne auf dem Hinweg mal wieder eingeschärft. So lautete das Gesetz der Konversation. Den Ball flach halten, nett plaudern und immer schön tiefstapeln. Offene Worte waren nicht vorgesehen. Nur gepflegte Oberflächlichkeiten. Und schon gar keine Gespräche über Sex.
Neben Anne schwärmte gerade eine frisch blondierte Dame im grauen Designerkostüm von einem neu eröffneten Restaurant. Detailliert zählte sie sämtliche Speisen des Zehn-Gänge-Menüs auf, das man ihr serviert hatte. Anne hatte Mühe, sich auf die endlose Abfolge kulinarischer Spitzenleistungen zu konzentrieren. Nachdenklich musterte sie das tiefgebräunte Dekolleté der Dame, die perfekt manikürten und üppig beringten Finger, ihre grellrot geschminkten Lippen.
Wann waren diese Lippen
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