Giftkuss
Cleo.
Katharina hörte Skepsis in ihrer Stimme. Oder bildete sie sich das nur ein?
Locker bleiben, harmlos tun.
Katharina lachte. »So ein Zufall.«
»Das stimmt.«
Jetzt war Cleo unten angekommen und die beiden Mädchen standen sich gegenüber.
»Was wolltest du mir denn sagen?«, fragte Katharina.
»Stell dir vor, was ich gerade auf dem Hochsitz gefunden habe.«
»Nicht das Tagebuch, oder?«
»Genau das!«
Feierlich öffnete Cleo die Plastiktüte und präsentierte ihren Fund.
»Wow!« Katharina sah so gut wie nichts, aber das brauchte sie auch nicht. Cleo hatte das Tagebuch gefunden!
»Komm, wir gehen zurück.«
»Gib mir das Buch, ich steck es in die Tasche.«
»Warum? Ich kann es auch tragen.«
»Aber die Tasche ist groß genug und ich kann sie um die Schulter hängen. Dann hast du die Hände frei.«
Cleo gab es ihr.
»Hast recht. Die braucht man tatsächlich. Hab mir vorhin schon einen Kratzer geholt.«
»Hmmm«. Katharinas Herz klopfte so sehr, dass sie Angst hatte, es würde ihr die Sprache verschlagen. Atemlos ging sie hinter Cleo her und öffnete im Laufen erst ihre Tasche, dann vorsichtig die Plastiktüte. Die Geräusche der Schritte waren so laut, dass Cleo nichts hören konnte. Katharina griff nach dem Tagebuch. Es hatte die gleiche Form wie jenes, das sie gekauft hatte, und war – welch ein Wunder – auch mit Stoff bespannt. Wie gut sie Anjas Geschmack kannte! Sie nahm das Tagebuch aus der Plastiktüte und steckte ihr präpariertes hinein. Dann schloss sie die Tasche und neue Zuversicht erfüllte sie.
Ich werde sie vielleicht doch nicht töten müssen.
Und jetzt fand sie auch ihre Sprache wieder. »Das ist ja toll, dass du das Buch gefunden hast. Wow, ganz schön spannend. Was da wohl drinsteht? Vielleicht werden wir gleich erfahren, wer Anjas Mörder war.«
»Zumindest werden wir erfahren, was sie auf dem Dachboden entdeckt hat.«
Sie waren am Gartentor angekommen.
»Wir müssen uns durchquetschen. Anjas Mutter darf uns nicht hören.«
Cleo öffnete das Gatter vorsichtig, Millimeter für Millimeter, und die beiden Mädchen zwängten sich durch eine schmale Öffnung.
»Lass uns zum Swimmingpool gehen, ich weiß, wo die Lampen angehen«, sagte Cleo.
»Meinst du wirklich? Dann sehen uns doch deine und Anjas Mutter.« Katharina war zwar immer gut mit Frau Diekamp ausgekommen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde, wenn sie sie hier zusammen mit Cleo sehen würde.
»Gehen wir zu den Garagen. Da ist ein Bewegungsmelder«, schlug sie vor. Die waren auf der anderen Seite des Grundstücks. Weder Licht noch Geräusche würden bis ins Wohnzimmer dringen.
»Gute Idee«, sagte Cleo. Und sie gingen an der Hauswand entlang zum Garagenvorplatz. Plötzlich sprang die Außenbeleuchtung an und blendete sie fürchterlich. Katharina blinzelte und ärgerte sich sofort, diesen Ort vorgeschlagen zu haben. In dem gleißenden Licht war die Schrift viel zu deutlich erkennbar.
»Ganz schön hell hier«, sagte sie.
»Ist doch gut«, entgegnete Cleo. Sie setzte sich auf die Bordsteinkante vor die Mülltonnen und forderte Katharina mit einer Geste auf, sich neben sie zu setzen.
»Los. Gib her.«
»Und wenn nichts Gutes drinsteht?«
»Was meinst du damit? Gib schon her.«
Katharina setzte sich neben Cleo und zog ihr Tagebuch aus der Tasche. Gleichzeitig fuhr sie all ihre Antennen aus, um zu erspüren, was in Cleo vor sich ging, während sie ihr das Buch überreichte. Keine neue Falte zwischen den Augen, kein skeptischer Blick, auch der Mund blieb reglos, kein komischer Laut, nichts. Cleo schlug das Tagebuch auf.
»Ich hab ein bisschen Angst«, sagte Cleo.
Die erste Hürde ist genommen! Sie hat es nicht gemerkt!
»Es sind nur zwei Seiten«, bemerkte Cleo erstaunt.
Das Licht ging mit einem lauten Klack aus. Cleo stand auf und hüpfte zwei-, dreimal, bis das Licht wieder ansprang. Dann setzte sie sich wieder und begann laut zu lesen:
Donnerstag, den 21.06.2011
Heute schreibe ich seit Langem mal wieder Tagebuch.
Ich habe etwas Schreckliches erfahren und kein Mensch hört mir zu. Cleo hat mich gestern weggeschickt, als ich es ihr erzählen wollte
Sie stockte, blickte auf die gerade gelesenen Zeilen. »Scheiße!« Sie las weiter.
und Katharina erreiche ich nicht, sie ist ja dauernd arbeiten. Deshalb habe ich mir jetzt ein neues Tagebuch gekauft und schreibe es auf, irgendwem muss ich es ja erzählen.
Während sie weiterlas, betrachtete Katharina Cleos Haltung und Mimik, fand aber
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