Giftkuss
den Wald hinein.
»Ich habe Gift dabei, da geht es ganz schnell. Mir tut das auch weh, wirklich.« Während sie sprach, schleppte sie Cleo immer tiefer in den Wald. »Meinen Vater hätte es erwischen sollen, aber doch nicht Anja und dich.«
Cleo hatte große Mühe, ihr zuzuhören. Trotzdem hatte sie den letzten Satz verstanden.
Katharina ist Sabrina Meinhard! Mein Gott, wieso bin ich auf die Idee nicht gekommen?
Mit einem Schlag setzte sich fast das ganze Puzzle zusammen. Aber eben nur fast. Sabrinas Mutter war in einem Heim, nicht zu Hause und…
Sie musste den Mund freibekommen, verdammt! Ich muss mit ihr reden.
»Ich schreie nicht, lass mich was sagen!«, schrie sie gegen die Hand. Und noch mal und noch mal.
»Cleo, ich kann die Hand nicht wegnehmen.« Mittlerweile hatte Katharina sie bis zur Aussichtsbank geschleppt und sie so geschickt zwischen ihren Beinen eingekeilt, dass sie sogar eine Hand frei hatte. Damit zog sie ein kleines Fläschchen aus ihrer Tasche. Cleo bekam noch mehr Panik.
Das kann doch jetzt nicht das Ende sein!
Sie wehrte sich, trat und schlug um sich und wiederholte immer wieder: »Lass mich!« Ihre Kehle schmerzte vom Schreien. Sie sah, wie Katharina mit den Zähnen das Fläschchen aufdrehte.
Gift! Gleich ist es vorbei. Was kann ich tun? Hilfe.
»HILFE!« Doch Katharinas Hand erstickte ihren Ruf. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander. Auf keinen Fall durfte sie zulassen, dass das Gift…
»Scheiße!«, brüllte Katharina in den Wald hinein.
Was passiert denn jetzt?
Cleo schaute Katharina an. Die wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Ein Schluchzen? Tatsächlich.
Katharina weinte. Jetzt spürte sie es auch an ihrem Griff, er wurde lockerer und Katharinas Körper zitterte. Da, wieder ein lauter Schluchzer. Und plötzlich ließ sie Cleo los. Die sprang sofort auf und rannte davon, zehn Meter, fünfzehn Meter, dann hielt sie inne und blickte zurück. Wie ein Häufchen Elend saß Katharina zusammengesunken auf der Bank und weinte jämmerlich.
Cleo stützte ihre Hände auf die Knie wie ein Langstreckenläufer und holte ein paarmal tief Luft. Ihre Knie zitterten, ihr ganzer Körper war in völligem Aufruhr.
»Du spinnst doch!«, schrie sie in Katharinas Richtung. »Hast die Totalmeise!«
Dann stand sie unschlüssig da. Sollte sie wegrennen? Zu Mama? Sich in Sicherheit bringen? Doch irgendetwas hielt sie davon ab, wahrscheinlich die Fragen und vor allem die Wut. Sie hob einen schweren Ast vom Boden auf, mit dem sie sich zur Not verteidigen konnte.
»Du bist Sabrina Meinhard, stimmt’s?«
Katharina nickte.
»Was hast du Anja angetan?« In Cleos Worten lag die ganze Wut der letzten Tage, entsprechend schrill klang ihre Stimme.
»Es war ein Unfall.« Katharina flüsterte fast. Sie saß auf der Bank, stützte ihre Unterarme auf die Oberschenkel und richtete den Blick zwischen ihren Beinen auf den Boden.
»Ach ja? Das soll ich dir glauben?« Cleo hatte das Bedürfnis, Katharina zu packen und so lange zu schütteln, bis sie alles wusste. Aber sie wahrte Distanz, das erschien ihr sicherer.
»Sie… sie ist auf der Treppe gestürzt.« Katharinas Sätze wurden regelmäßig von markerschütternden Schluchzern unterbrochen. »Was glaubst du denn, hä? Ich mochte sie.«
»Warst du eifersüchtig?«
»Nein«, schrie Katharina. Sie hob den Kopf und blickte Cleo flehend an. Obwohl mindestens fünfzehn Meter zwischen ihnen lagen, hatte Cleo das Gefühl, sie stünde ganz dicht vor ihr. Intuitiv trat sie ein paar Schritte zurück.
»Ich tu dir nichts, Cleo, wirklich nicht. Ich hätte es ja eben können, aber ich habe es nicht geschafft. Dich mag ich doch auch.«
»Warum Anja?«
»Es war ein Unfall, ehrlich.« Katharina blickte wieder auf den Waldboden. »Ich wollte meinen Vater umbringen, nicht Anja. Es tut mir unendlich leid.« Kurz versank sie in Schweigen und Cleo erinnerte sich an den Besuch bei Mortzfeld. Das Mädchen Sabrina aus seiner Geschichte hatte ihr so schrecklich leidgetan. Und jetzt saß es vor ihr.
»Es war ein so guter Plan. Fünf Jahre habe ich gebraucht. Ich hab in der Gerichtsmedizin geputzt, um zu studieren, was ich für den perfekten Mord wissen muss. Und bei den Diekamps war ich, um die Gewohnheiten der Familie kennenzulernen. Es war perfekt. Alles habe ich bedacht, alles.«
Sie machte eine Pause, und gerade als Cleo überlegte, wie sie sie zum Weitersprechen auffordern könnte, fuhr sie von selbst fort. »Es war einfach, Katharina zu werden. Ein
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